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Für Zuschauer ist die Tour auch bei Regen schön – Erlebnisbericht aus Colmar
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23.07.2009

Für Zuschauer ist die Tour auch bei Regen schön – Erlebnisbericht aus Colmar

Info: Bildergalerie
Info: TOUR DE FRANCE | Bericht Etappe 13 | Bericht Etappe 14
Autor: H.O.



Colmar, 17./18.7.09 - Nachdem ich in letzter Zeit bei der seriösen Berichterstattung mithelfen durfte, habe ich heute wieder einmal einen sehr subjektiven Vor-Ort-Bericht für euch. Ich war zugegen, als am 17.7. die 13. Tour-Etappe im elsässischen Colmar mit dem grandiosen Sieg von Heinrich Haussler endete und als tags darauf die 14. Etappe eben dort gestartet wurde. Dauerregen und Kälte prägten den ersten, Menschengewühle und enttäuschte Autogrammwünsche den zweiten Tag – und doch war es ein an Emotionalität, Magie und Dramatik schwerlich zu übertreffendes Erlebnis.

FREITAG, 17.7.

Wiedersehen nach vier Jahren
Da mein Freund und ich lange Zeit in Süddeutschland nahe der französischen Grenze gelebt und dort noch Verwandtschaft hatten, bei der wir übernachten konnten, kam der Besuch der Tour de France 09 in Colmar wie gerufen. Erst einmal zuvor hatte ich den Tour-Tross live an mir vorbeiziehen sehen, und zwar als dieser am 9.7.2005 auf der achten Etappe von Pforzheim nach Gérardmer ganz nahe an meinem früheren Wohnort vorbeifuhr. Auf einer Brücke stehend hatte ich damals, bei strahlendem Sonnenschein und Sommerhitze, jubelnd herabgeblickt auf einen Lance Armstrong im Gelben Trikot – das er an diesem Abend übrigens an Jens Voigt abtreten musste -, und der dabei entstandene, völlig verpixelte Schnappschuss hängt bis heute über meinem Schreibtisch. Ich glaube, ich war die Einzige auf jener Brücke, deren Herz für den Amerikaner und nicht für Nationalheld Ulle schlug. (Nur nebenbei weil ich es einfach witzig finde: Führender der Nachwuchswertung war damals ein gewisser Vladimir Karpets; das Bergtrikot trug Andreas Klöden). So viel schien gewiss, dass dies die letzte Tour Armstrongs sein und ich ihn also nie mehr wiedersehen würde. Aber man trifft sich im Leben eben doch immer zweimal…
Geradezu konträr zur Situation im Jahr 2005 verhielt sich die diesjährige in Colmar allerdings, was das Wetter angeht. Nichts mit Sonnenschein – schon kurz vor unserer Ankunft im Etappenort begann es heftig zu regnen. Und es regnete mal stärker und mal schwächer den ganzen Nachmittag unentwegt weiter. Dennoch waren gut anderthalb Stunden vor dem frühesten berechneten Zieleinlauf schon sämtliche gute Plätze in der Nähe der Ziellinie von dicht an dicht stehenden, teils Regenschirm-bewaffneten und dadurch viel Raum beanspruchenden Zuschauern besetzt. Wir mussten mit einem Platz noch jenseits der 500-Meter-Marke vorliebnehmen, aber das schien uns kein allzu großes Unglück, da wir hier immerhin in der ersten Reihe standen und einen perfekten Blick auf die Fahrer haben würden. Wie der Sieger heißen würde, stand ziemlich bald ja schon fest, und das wussten wir auch, denn durch den Streckensprecher konnten wir die Entwicklung im Rennen mitverfolgen: das Zurückfallen Chavanels, die Aufholjagd von Txurruka, den erneut beeindruckenden Auftritt von Brice Feillu – und die nur durch das Sch…wetter getrübte Triumphfahrt des Heinrich Haussler. Schöner kann man einem Sieg wohl nicht entgegenfahren, ganz allein und völlig unbedrängt und dann auch noch nur wenige Kilometer vom eigenen Zuhause entfernt [Haussler wohnt in Freiburg im Breisgau]. Leider musste ich dennoch mein kleines schwarz-rot-goldenes Fähnchen (zusammen mit der kleinen US-Flagge ;-) ) im Rucksack lassen, da aus ihr in kürzester Zeit ein nasser Lappen geworden wäre.

Gute Stimmung trotz Dauerregens
Ich fand es bemerkenswert, dass die Stimmung bei den Zuschauern trotz Regens ausgezeichnet war – Zuschauern, die aus aller Welt gekommen zu sein schienen. Neben Französisch und Deutsch hörte ich Holländisch, amerikanisches Englisch, Schweizerdeutsch und sah die Nationalfarben von Finnland, Dänemark, Großbritannien, Neuseeland und Australien. Auch fielen mir die zahlreichen Jugendlichen und Familien mit kleinen Kindern auf – die Radsportbegeisterung wird also so bald nicht aussterben. Erst recht an eine Party erinnerte die Stimmung, als die Werbekarawane eintraf, die mir im Vergleich zu 2005 um einiges aufwendiger erschien. Die Aufbauten der Wagen waren bunter und verrückter. Schon allein der von BBOX Bouygues Telecom mit blauer Leuchtschrift, die riesigen Pappmaché-Pferde von Maillot Verd-Sponsor PMU [= der größte Pferdewetten-Anbieter in Frankreich] oder der „Yeti“, das Maskottchen des Weißen Trikots. Und die Haribo-Autos hatte es damals meines Wissens auch noch nicht gegeben. Wie beim Karneval wurden von den Wagen zahlreiche Gimmicks in Richtung der Zuschauer geworfen – neben Gummibärchen z. B. Schlüsselanhänger, aufblasbare Krachmacher und immer wieder Mützen. Leider ergatterte ich nichts außer einer Skoda-Kappe, die sich, gerade erst aufgesetzt, auch schon voller Wasser gesogen hatte, und einem hässlichen Schlüsselanhänger, der mich direkt an der Stirn traf. Allerdings war ich im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten auch nicht gewillt, in den Pfützen auf dem Bürgersteig nach den zu Boden gegangenen Trophäen zu fischen.
Ihr seht schon, das Wetter war wirklich ein großer Negativfaktor, und es lässt sich einfach nicht verschweigen, dass die trotz Anorak durchnässte Kleidung zusammen mit den keineswegs sommerlichen Temperaturen und dem aufkommenden Wind mich in jeder anderen Situation zur Kapitulation getrieben hätten und nur der Gedanke mich aufrechterhielt, dass ich gleich meine Helden, meine Lieblinge, die von mir so sehr verehrte Elite des faszinierendsten Sports der Welt zu Gesicht bekommen würde. Und ich würde einem Landsmann in der größten Stunde seiner ohnehin schon erfolgreichen Karriere zujubeln können. Die Karawane verkürzte das Warten zudem erheblich und dann dauerte es nicht mehr lange, bis es hieß: Haussler 5 km vor Colmar. In diesem Moment tauchten auch die ersten Hubschrauber auf – hoch oben über uns im grauen Regen-Himmel und doch einen gewaltigen Lärm verbreitend. Das verlieh dem Ganzen noch einmal eine so eigene Dramatik, dass ich vor Spannung und Vorfreude zu platzen meinte.

Zieleinlauf der Fahrer. Warten auf Spilak
Und plötzlich war Haussler da, er fuhr auf unserer Straßenseite ganz nah vorbei, ich jubelte nach Leibeskräften, für einen kurzen Augenblick nur tauchte er in meinem Blickfeld auf, aber lange genug, dass ich ihn identifizieren konnte – er trug das weiße Cervélo-Outfit und sah genauso aus wie im Fernsehen. Es dauerte sehr lange, bis endlich Amets Txurruka eintraf – wie ihr problemlos nachschauen könnt vier Minuten und ein paar Sekunden, aber es kam mir länger vor; die Deutlichkeit von Hausslers Sieg war schlicht beeindruckend. Der Baske fuhr, wie mir schien, ein etwas geringeres Tempo, ebenso wie der wirklich ziemlich große und ziemlich dünne Brice Feillu, der sich kurze Zeit später ins Ziel kämpfte, und ganz anders als Sylvain Chavanel, der heftig in die Pedale trat. Denn unmittelbar hinter ihm jagte schon das Feld heran – oder zumindest das, was davon übrig geblieben war. Diese erste größere Gruppe um das Gelbe Trikot war lang gestreckt und so dauerte es einige Sekunden, bis alle an uns vorbeigezogen waren. Doch leider konnte ich kaum einen Fahrer sicher identifizieren, da sie sich in ihren einfarbigen Regenjacken alle sehr ähnelten und anders aussahen als gewohnt. Der Gesamtführende Nocentini stach natürlich heraus, und Egoi Martinez erkannte ich an der Hose mit den roten Punkten. [Noch an diesem Tag musste er ja die Führung in der Bergwertung an Pellizotti abgeben, ebenso wie der abgehängte Mark Cavendish das Grüne Trikot zum zweiten Mal an Hushovd verlor.]
Mit gewaltigen Abständen erst trafen weitere Fahrer ein, teils allein oder zu zweit, teils in größeren Gruppen. Es war beeindruckend zu sehen, dass auch eine solche zwar schwere, aber keineswegs mit einem Tag in den Alpen vergleichbare Etappe zu enormen Zeitverlusten führen kann. Das schlechte Wetter tat sicher ein Übriges. Längst hatte mit der von mir so geliebten Tour-Hymne die Siegerehrung begonnen, die wir nicht direkt miterlebten, sondern nur über die Lautsprecher, da es völlig sinnlos gewesen wäre, hinauf in den Zielbereich zu den Menschenmassen zu laufen. Außerdem mussten wir doch die Nachzügler gebührend begrüßen – und das taten wir bis zum bitteren Ende. Ich finde, man kann seinen Respekt gegenüber den Fahrern nicht besser zeigen, als indem man auch bei schlechtem Wetter am Straßenrand steht und ausharrt, bis auch der Allerletzte im Ziel ist. In diesem Fall war das der Slowene Simon Spilak, der sich eine Dreiviertelstunde nach Haussler erst hereinschleppte. Er wäre an diesem Tag aus der Karenzzeit gefallen, wenn man nicht hinterher mildernde Umstände geltend gemacht hätte. Ich war voller Mitleid für den armen Lampre-Mann; aus seinem Gesicht war jede Regung gewichen; ich glaube, er merkte noch nicht einmal mehr, dass wirklich noch ein paar Leute seinetwegen dageblieben waren und ihn mit ihren Anfeuerungsrufen ins Ziel beförderten.
Die Tour-Hymne noch immer in den Ohren saß ich wenig später endlich im Auto, bibbernd und mit vor Nässe aufgequollenen Fingern. In dieser Situation rettete mich das knallgelbe offizielle Tour-Shirt, das ich mir schon immer gewünscht und das ich mir vor Stunden gleich als Erstes gekauft hatte. Derart trocken und sonnenfarben gewandet wurde mir allmählich wieder warm. Warm ums Herz war mir sowieso, erst recht, als uns beim Verlassen des Parkplatzes ein Eurosport-Fahrzeug entgegenkam – am Steuer Karsten Migels. Echt wahr, ich hab ihn deutlich gesehen.

SAMSTAG, 18.7.

Anarchie und Absperrzäune
Für den nächsten Tag hoffte ich inständig, der Regen würde sich verzogen haben, denn ich hatte die feste Absicht, mich vor dem Start um Autogramme zu bemühen – und welcher Fahrer gibt schon gerne Autogramme im Regen? Nun ja, das Wetter sollte nicht daran schuld sein, dass mein Vorhaben letztlich nicht von Erfolg gekrönt war… Doch der Reihe nach: Der frühe Vormittag präsentierte sich noch recht regnerisch und immer wieder fielen Schauer, doch nach und nach klarte es auf. Als wir in Colmar aus dem Parkhaus traten, liefen wir praktisch direkt in die Karawane hinein, die sich eben in Gang gesetzt haben musste, und in die Schaulustigen, die sich recht und links der Straße schon wieder eingefunden hatten. Doch hier wollten wir ja eigentlich nicht bleiben, unser Ziel waren eindeutig der unmittelbare Startbereich und die Tribüne, auf der die Einschreibkontrolle vorgenommen werden würde. Zwar hatten wir am Vortag durch den Streckensprecher mitbekommen, wie der Platz hieß, an dem der Start erfolgen sollte, doch wie man vom Parkhaus dorthin gelangte, war unklar. So liefen wir erst in die falsche Richtung, bis uns Streckenpfeile zum Umkehren zwangen und wir irgendwann auf dichter werdende Menschenansammlungen stießen. Auch der gelbe Startbogen und dahinter die Tribüne gerieten nun in unser Sichtfeld.
So umlagert wie der ganze Bereich aber jetzt schon war, wurde mir schlagartig und schmerzlich bewusst, dass es nichts werden sollte mit Autogrammen und vielleicht sogar das Fotografieren sinnlos wäre. Ich glaube nicht, dass wir durch unsere anfängliche Orientierungslosigkeit so viel Zeit verloren hatten – man hätte einfach noch früher als anderthalb Stunden vor dem Start vor Ort sein müssen, um eine Chance auf einen Platz direkt hinter den Absperrzäunen zu haben. Zudem war das Ganze ungeschickt arrangiert, nicht auf einer größeren freien Fläche, sondern direkt an der Straße, sodass alle Zuschauer sich auf den schmalen Bürgersteigen neben oder, im besten Fall, gegenüber der Tribüne stapeln mussten. Dort standen sie schon in Dreier- und Viererreihen, sofern man von „Reihen“ überhaupt sprechen darf; jeder nur denkbare Stehplatz und jede auch nur ein bisschen erhöhte Stelle, jedes Geländer und jedes Mäuerchen hatte schon einen Abnehmer gefunden.
Alles wirkte überfüllt, unübersichtlich, chaotisch, geradezu anarchisch. In diesem Augenblick war ich einfach maßlos enttäuscht und die Tränen standen mir in den Augen – aber was hatte ich erwartet? Das hier war die Tour und kein familiäres Kaffeekränzchen! Mein Freund überredete mich, einen Abstecher in das nahe gelegene „Ville départ“ zu machen, doch es stellte sich heraus, nachdem wir das ganze Gelände umrundet hatten, dass es sich um einen abgesperrten Bereich nur für die Teams und die Offiziellen handelte. Wahnsinnig spannend, Mannschaftsbusse hinter Gittern… Meine Stimmung war auf dem Nullpunkt. Immerhin stand an einer Stelle hinter der Absperrung der russische Meister und Katjusha-Profi Ivanov, der sich durch den Zaun hindurch sehr lieb mit Fans unterhielt (auf Englisch) und Autogramme gab. Heute bin ich überzeugt davon, dass er im Vorgefühl eines möglichen großen Coups an diesem Vormittag besonders guter Laune war. [Ivanov gewann diesen 14. Abschnitt von Colmar nach Besançon.]
Leider konnte ich mich nicht schnell genug entscheiden, ob ich ihm auch mein Notizblöckchen hinhalten sollte (hätte ich das mal bloß gemacht, Mensch, ein Autogramm vom Etappensieger, ich Idiot) – und außerdem stürmte mein Begleiter schon wieder weiter, umrundete den Rest des abgesperrten Geländes und stürzte sich dann mitten hinein ins Menschengewühl auf der der Tribüne gegenüberliegenden Seite. Ich wollte nicht auf einmal alleine dastehen und drängelte hinterher, obwohl mir der Sinn des Unterfangens nicht klar war. In diesem Moment begann die Präsentation der Fahrer. Der Erste war, soweit ich mich erinnern kann, der Viertplatzierte des Vortags, Sylvain Chavanel, aber ich sah das nur aus dem Augenwinkel, denn weiterhin musste ich schieben und drücken und gegen die Leute ankämpfen, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren.

Einschreibkontrolle als Hörspiel
Irgendwann kamen wir dann ganz zum Stillstand, schräg gegenüber der Tribüne und in der dritten Reihe hinter der Absperrung, sodass ich leider nichts von den Fahrern bei der Einschreibkontrolle sah, außer vielleicht ab und zu mal einen Kopf oder ein bisschen vom Trikot. Ich war heilfroh, dass mein Freund, der gestern schon so geschickt die Kamera gegen den Regen abgeschirmt und trotzdem ganz ordentliche Fotos geschossen hatte, über die Köpfe der anderen Menschen hinweg auf den Auslöser drückte, was das Zeug hielt. So konnte ich mir, Super-Extra-Zoom sei dank, wenigstens hinterher das Prozedere anschauen, das live vor Ort leider etwas an mir vorbeilief. Ich hörte nur, wie die Namen aufgerufen und die Verdienste des jeweiligen Fahrers aufgezählt wurden und registrierte, dass neben den aktuellen Trikotträgern (Nocentini, Pellizotti, Hushovd und Martin) Cavendish, Cancellara, Andy Schleck und Contador den meisten Beifall bekamen –, aber immer noch weniger als Tom Boonen. Der, ja man kann fast sagen: liebevolle und ergebene Jubel, mit dem der bei dieser Tour sehr glücklos agierende belgische Meister von seinen Fans empfangen wurde, rührte mich. [Leider musste Boonen gleich am Tag darauf das Rennen wegen gesundheitlicher Beschwerden aufgeben.] Selbstverständlich war auch die Begeisterung beim Auftritt von Lance Armstrong, der als einer der Letzten aufgerufen wurde, groß und selbstverständlich beteiligte ich mich daran, aber es hörte sich doch anders an. Die meisten Menschen applaudierten wohl mehr aus Respekt und ehrfürchtigem Staunen, weniger aus echter Zuneigung heraus.
Noch während die Einschreibung in vollem Gange war, begaben sich die ersten Fahrer zur Startlinie. Auch hier konnte ich nur ausschnittsweise etwas wahrnehmen, aber ich erkannte den einen oder anderen, z. B. kann ich mich deutlich erinnern an Michael Rogers und George Hincapie – der an diesem Tag ja nur knapp am Gelben Trikot vorbeischlittern sollte -, an Andy Schleck, Andreas Klöden, Vladimir Karpets, David Millar und an den durch sein WM-Trikot deutlich erkennbaren Allessandro Ballan - und an Erik Zabel, der natürlich nicht auf dem Rad, sondern am Steuer eines Columbia-Fahrzeugs vorbeifuhr. Ich sah, wie Tony Martin, Vortagessieger und rote-Nummer-Träger Heinrich Haussler und auch der Tour-Direktor Prudhomme Autogramme schrieben, natürlich nur für die Leute, die unmittelbar hinter der Absperrung in der ersten Reihe standen. Auch der spätere Etappensieger Serguei Ivanov kümmerte sich erneut ausgesprochen freundlich um die Fans – er scheint wirklich ein netter Typ zu sein.
Unterdessen gaben Thor Hushovd und Carlos Sastre Interviews – Letzterer wurde von dem aus der Vorberichterstattung bekannten französischen Eurosport-Reporter befragt und ich sah mit Wohlgefallen, dass er sich wirklich viel Zeit dafür nahm und so ruhig und geduldig wirkte, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte. Zudem hatte ich zufällig dank einer Lücke in den Reihen vor mir einen perfekten Blickwinkel für ein Foto, was mich besonders freute, da mir Sastres Toursieg im letzten Jahr viel bedeutet hatte. Darüber hätte ich fast verpasst, wie Lance Armstrong sich in Begleitung eines Personenschützers zum Start begab – aber nur fast, denn natürlich brandete erneut der Jubel auf und es kam merklich Bewegung in die Zuschauer, die sich gleich mir allesamt bemühten, einen Blick auf ihn werfen oder gar ein Foto machen zu können. Einigen besonders glücklichen jungen Mädchen in der ersten Reihe gab er Autogramme, bevor auch er noch zu einem Kurzinterview parat stand. Die Hysterie um seine Person ist einzigartig und eigentlich unerklärlich, aber es ist wahr, es geht einfach etwas Besonderes von ihm aus und ich war in diesem Moment hochzufrieden, dass ich ihn doch noch einmal bei der Tour erleben durfte, obwohl ich mit seinem Comeback lange gehadert hatte. Dabei kam mir die Szene insgesamt viel unwirklicher vor als die im Jahr 2005. Jedenfalls kann ich dem Schnappschuss „Lance in Gelb“ von damals nun einen Schnappschuss „Lance im Astana-Trikot, Rückenansicht“ hinzufügen. Das war nämlich im Wesentlichen das, was ich von ihm zu Gesicht bekam.

Abschied
Auch die eigentliche Abfahrt hörte ich mehr, als dass ich sie sah. Auf einmal begann die Menge zu applaudieren – an einen Startschuss kann ich mich nicht erinnern -, und links von mir hinter den ganzen Schaulustigen setzte sich etwas Buntes, Großes in Bewegung. Hinterher jagten allerdings auch noch ein paar vereinzelte Nachzügler, darunter übrigens, wie ich deutlich erkennen konnte, Fabian Wegmann und der spätere Mit-Ausreißer Jens Voigt [niemals hätte ich da gedacht, dass diese Tour für ihn ein so scheußliches Ende nehmen sollte!]. Anschließend dauerte es noch mindestens zehn Minuten, bis der ganze Fuhrpark und alle Teambusse, ausgiebigen Abgas-Gestank verbreitend, vorbeigerollt waren und ebenfalls mindestens noch zehn Minuten, bis man uns immer noch dicht gedrängte Zuschauer von den Absperrungen befreite. Wir liefen danach noch eine ganze Weile orientierungslos durch die malerischen Sträßchen Colmars, bis uns unser Handy-Navi endlich geortet und zurück zu unserem Parkhaus geleitet hatte. Mehrfach begegneten uns dabei Menschen mit Tour-Tragetaschen, in denen sie ihre Devotionalien fröhlich nach Hause trugen. Ich hingegen verspürte auf einmal ein deutliches Gefühl von Traurigkeit, weil der Zauber schon vorüber war. Leb wohl, Tour de France, dachte ich mir, du schönstes, betörendstes, exklusivstes und geliebtestes Spektakel der Welt. Au revoir, denn ich hoffe wir sehen uns wieder – ob mit oder ohne Lance.





Viele Wagen der Werbekarawane waren aufwendig gestaltet
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Heinrich Haussler kurz vor dem größten Triumph seiner Karriere
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Brice Feillu zeigte erneut eine starke Leistung
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Der erste Teil des Feldes war lang gezogen
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