<< älterer Bericht  | zurück zur News |  neuerer Bericht >>
Start > Tour de France
Marcel Kittel geht aus dem Chaos der ersten Tour-Etappe als strahlender Sieger hervor
Suchen </font size=2>Tour de France</font> Forum  </font size=2>Tour de France</font> Forum  </font size=2>Tour de France</font>
29.06.2013

Marcel Kittel geht aus dem Chaos der ersten Tour-Etappe als strahlender Sieger hervor

Info: TOUR DE FRANCE 2013
LiVE-Ticker zum Nachlesen: Flash | Text
Autor: Heike Oberfeuchtner (H.O.)



Bastia, 29.06.2013 - In einem Finale, das viel turbulenter ausfiel, als sich die Rennfahrer das wohl gewünscht hätten, hat sich Marcel Kittel (Argos-Shimano) den Sieg auf der ersten Etappe der 100. Tour de France gesichert. Der 25-jährige Deutsche feierte seinen bislang größten Triumph, nachdem zunächst ein im Zielbogen eingeklemmter Bus für Aufregung gesorgt und nachdem ein Massensturz mehrere Top-Sprinter abgeräumt hatte. Kittel setzte sich souverän vor Alexander Kristoff (Katusha) sowie dem jüngsten Tour-Teilnehmer, Danny van Poppel (Vacansoleil-DCM), durch und übernahm damit auch das Gelbe Trikot des Gesamtführenden. Ein Juryentscheid kurz nach der Etappe legte fest, dass keiner der Gestürzten Zeit im Hauptklassement verlieren sollte.

Die Tour de France erobert Neuland
Nach 110-jährigem Bestehen und pünklich zur 100. Austragung - der Zufall will es, dass diese beiden denkwürdigen Jubiläen genau 10 Jahre auseinanderliegen - ist die Tour de France offenbar "reif für die Insel". Korsika, das mit 8680 Quadratkilometern viertgrößte Eiland im Mittelmeer, war bis dato einer der letzten weißen Flecken auf der Tour-Landkarte, was vor allem mit einer prekären Sicherheitslage sowie francophoben und separatistischen Tendenzen zu tun hatte. Seit Jahren setzte Tour-Direktor Christian Prudhomme sich persönlich für einen Start auf Korsika ein - das Critérium International wurde extra als Versuchsballon dorthin verlegt - und 2013 war es dann endlich so weit. Die erste von drei korsischen Etappen führte heute über 213 Kilometer zunächst in einer Schleife um Porto-Vecchio und dann in nördlicher Richtung nach Bastia. Tatsächlich hatten die Streckenplaner auf der an sich sehr gebirgigen Insel einen völlig flachen und zum Einrollen geeigneten Kurs zusammengestellt: Es ging immer der Küste entlang.

Fünfköpfige Spitzengruppe um Boom und Flecha
Nach der 8 km langen neutralisierten Phase - in der ausgerechnet Chris Froome (Sky Procycling), Critérium International-Champion und Tour-Favorit schlechthin, einen Defekt zu beklagen hatte - dauerte es nur wenige Augenblicke, bis die Gruppe des Tages ihre Flucht angetreten hatte. Mit dabei waren zwei sehr prominente Fahrer, nämlich Klassikerjäger Juan Antonio Flecha (Vacansoleil-DCM) und Ster ZLM Toer-Sieger Lars Boom, der sein neues Belkin-Trikot vorstellte, sowie drei Athleten aus der zweiten Reihe: Juan Jose Lobato (Euskaltel), Etappensieger bei der Vuelta a Castilla, Jérôme Cousin (Europcar), der Nachwuchsbeste des Etoile de Bessèges, sowie Cyril Lemoine, der für die Wildcard-Mannschaft Sojasun seine dritte Tour bestreitet. Bei 200 noch ausstehenden Kilometern betrug der Vorsprung des Quintetts schon drei Minuten. Weiter stieg er aber erst mal nicht, ganz im Gegenteil. Im Hauptfeld teilten die Sprintermannschaften Omega Pharma-Quick Step, Argos-Shimano und Lotto-Belisol sich die Nachführarbeit, wobei der Löwenanteil auf das Team von Mark Cavendish entfiel. Allen war bewusst, dass heute erstmals seit 1966 wieder ein reinrassiger Sprinter ins Gelbe Trikot zu Tour-Beginn fahren könnte.

Sprinterteams machen Tempo für historische Chance
Bei der Bergwertung der 4. Kategorie auf der Côte de Sotta (km 45,5) sicherte sich Juan Lobato - nach einem viel zu frühen Antritt von Lemoine - den einen Punkt. Kurze Zeit später kam es fast zur Einholung durch das Hauptfeld - eine Situation, die sich 113 Kilometer vor dem Ziel wiederholte und die diesmal dazu führte, dass Jérôme Cousin die Beine in die Hand nahm und es auf eigene Faust versuchte. Plötzlich war auch bei seinen ehemaligen Begleitern neuer Dampf drin und sie fuhren die Lücke zum Franzosen wieder zu. Das Peloton geriet jetzt mehr denn je ins Hintertreffen: Der Abstand kletterte auf über vier Minuten. Erst beim Zwischensprint in San-Giuliano nach 150 Kilometern wendete sich das Blatt endgültig. Um die verbliebenen Punkte hinter den Ausreißern abgreifen zu können, erhöhten Lotto, Omega Pharma und auch Cannondale, die Mannschaft um den Maillot Vert-Gewinner des Vorjahres, das Tempo. Tatsächlich holte sich Boom zwar die maximale Ausbeute von 20 Zählern, Greipel, Cavendish und Peter Sagan verbuchten aber immerhin noch 10,9 und 8 Punkte.

Lobato nimmt als erster die Beine hoch
Wegen des rapide sinkenden Vorsprung - und auch weil er mit der Übernahme des Bergtrikots genug geleistet hatte - gab Lobato den Widerstand auf. 60 Kilometer vor dem Ziel holte man den Spanier ein. 23 Kilometer später war es auch um die vier anderen Ausreißer geschehen, vor denen Cousin im Anschluss an die Etappe zum kämpferischsten Fahrer gekrönt werden sollte. Um in der neuen Rennsituation böse Überraschungen zu vermeiden, zeigten sich nun erst einmal die Teams der Klassementfavoriten an der Spitze und machten mächtig Druck, allen voran Radioshack (für Andy Schleck), Saxo-Tinkoff (für Alberto Contador) und BMC (für Cadel Evans). Als sich alles wieder beruhigt hatte, sorgten zwei neue Faktoren für Aufregung. Einerseits blieben ein paar Fahrer, darunter der frischgebackene niederländische Meister Johnny Hoogerland (Vacansoleil) und der frühere Giro-Sieger Ryder Hesjedal (Garmin), an ungeschickt installierten Werbebannern hängen und kamen zu Fall. Andererseits machte die Nachricht von einem Orica-GreenEdge-Teambus die Runde, welcher sich, beim Versuch die Ziellinie zu passieren, unter dem Zieltorbogen eingekeilt hatte und eine normale Massenankunft scheinbar verhinderte.

Finale kurioso
Schon hatte die Organisation beschlossen, das Ziel um drei Kilometer nach vorne zu verlegen - da gelang es mit vereinten Kräften doch noch, den Bus aus dem kritischen Bereich zu entfernen. Ein Finale auf der Linie nach genau 213 Kilometern war also wieder möglich. Sei es wegen der hektischen und widersprüchlichen Infos, die die Rennfahrer über den Funk erreichten, sei es wegen Drängeleien und nervöser Positionskämpfe - jedenfalls ereignete sich in etwa an der 4000 Meter Marke ein folgenschwerer Massensturz, dem ein Großteil der Sprint-Asse zum Opfer fiel. Der britische und der slowakische Meister, Mark Cavendish und Peter Sagan, etwa blieben gleich auf der Strecke - der deutsche Meister André Greipel kam zwar zunächst durch, doch wurde seine Schaltung derart beschädigt, dass er einige Meter weiter stehenbleiben musste. Auch Matthew Goss (Orica) war von den Ereignissen offenbar so verwirrt, dass er mit dem Vorderrad wenig später in eine Absperrung krachte. Auf einmal sah eine nur noch kleine Fahrergruppe den Etappensieg zum Greifen nahe.

Marcel Kittel nutzt die Gunst der Stunde
Obwohl sich ihre Kapitäne nicht mehr vorne befanden, zeigten Niki Terpstra (Omega Pharma) und Marcel Sieberg (Lotto) sich im eigentlichen Finale sehr aktiv. Dann aber übernahmen die stärksten Sprinter, die aus dem Chaos unbeschadet hervorgegangen waren, das Kommando. Marcel Kittel (Argos) wartete recht lange, um dann plötzlich aus dem Windschatten aufzutauchen und den Norweger Alexander Kristoff (Katusha) souverän auf den zweiten Platz zu verweisen. Sieht man mal von den außergewöhnlichen Umständen ab, ging für den 25-jährigen Arnstädter in diesem Augenblick ein Lebenstraum in Erfüllung. Schon im letzten Jahr war er mit großen Erwartungen zur Tour gereist, nur um sie nach fünf Tagen aus gesundheitlichen Gründen verlassen zu müssen. 2013 griff Kittel mit elf Saisonsiegen im Gepäck (u.a. Tour de Picardie und ProRace Berlin) erneut an - und war im richtigen Moment zur Stelle. Im Siegerinterview offenbarte er übrigens, dass er von dem Malheur mit dem Bus überhaupt nichts mitbekommen hatte. Eine noch größere Überraschung als Kittels Sieg stellte der dritte Platz von Danny van Poppel (Vacansoleil) dar, dem mit 19 Jahren und elf Monaten jüngsten Tour-Teilnehmer der Nachkriegsjahre. Auf den vierten Platz kam unverhofft David Millar (Garmin) - vor den eigentlich besseren Sprintern Matteo Trentin (Omega), Samuel Dumoulin (Ag2r), Greg Henderson, Jurgen Roelandts (beide Lotto), Jose Joaquin Rojas (Movistar), Kris Boeckmans (Vacansoleil) und Daryl Impey (Orica).

Bilanz des Tages
Mit seinem sensationellen Sieg übernimmt Marcel Kittel natürlich auch das erste Gelbe Trikot der 100. Frankreichrundfahrt - und nicht nur das. Im Punkte- und im Nachwuchsklassement liegt er ebenfalls vorne. Apropos Klassement: Obwohl der größte Sturz sich vor Erreichen der 3km-Zone ereignet hatte - zumindest wenn man vom ursprünglich vorgesehenen und nicht vom zwischenzeitlich improvisierten Zielstrich ausgeht - beschloss die Jury, auf die Anrechnung von Zeitrückständen bei allen Fahrern zu verzichten. Dieses Zugeständnis an die irregulären Zustände wird vielleicht einigen Tour-Favoriten helfen, ihre körperlichen Wunden im wahrsten Sinne des Worte zu verschmerzen. Von den Anwärtern auf den Gesamtsieg befand sich nur Cadel Evans mit vorne, Alberto Contador beispielsweise zog sich einige Abschürfungen und Prellungen zu und geriet ins Hintertreffen. Von Peter Sagan ist bekannt, dass er ebenfalls am ganzen Körper leichtere Verletzungen davontrug, dass er darin aber kein Problem für die kommenden Etappen sieht. Als einer der am schwersten Getroffenen hat leider Tony Martin (Omega Pharma) zu gelten. Beim Zeitfahrweltmeister besteht Verdacht auf Schlüsselbein- oder Schulterbruch. Gut möglich dass für ihn die Tour zu Ende ist, noch ehe sie richtig begonnen hat.

-> Zum Resultat

Nach Tagen und Wochen, in denen sich alte Bösewichte (Ricco, Armstrong) zu Wort meldeten und neue Schatten auf vermeintliche Lichtgestalten fielen (Jalabert), steht bei der Tour de France nun also endlich das sportliche Geschehen im Mittelpunkt. Morgen soll es über 156 Kilometer von Bastia in die korsische Hauptstadt Ajaccio gehen. Hoffen wir, dass dann nicht Busse und Stürze, sondern die durchaus bergige Landschaft für Spannung sorgen werden. Drei Bergwertungen der dritten und eine der zweiten Kategorie stehen auf dem Programm. Die letzte wird erst 12 Kilometer vor dem Ziel erreicht.





Marcel Kittel geht aus dem Chaos der ersten Tour-Etappe als strahlender Sieger hervor (Foto: letour.fr/Veranstalter)
Marcel Kittel geht aus dem Chaos der ersten Tour-Etappe als strahlender Sieger hervor (Foto: letour.fr/Veranstalter)

Zum Seitenanfang von für Marcel Kittel geht aus dem Chaos der ersten Tour-Etappe als strahlender Sieger hervor



Radsportnews auf Twitter - Radsport, Cycling, Radrennen live