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Adventskalender am 2. Dezember: Wenn einer eine Reise tut... - LiVE-Radsport-Interview mit Ultraradsportler Pierre Bischoff
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02.12.2018

Adventskalender am 2. Dezember: Wenn einer eine Reise tut... - LiVE-Radsport-Interview mit Ultraradsportler Pierre Bischoff

Info: Bildergalerie
Info: Webseite Pierre Bischoff | Facebook-Seite Pierre Bischoff | Red Bull Trans Siberian Extreme
Autor: Heike Oberfeuchtner (H.O.)



02.12.2018, INTERVIEW - Diesen Herbst sind Tim Wellens und Thomas de Gendt nach der Lombardei-Rundfahrt mit dem Fahrrad zurück nach Flandern gefahren. Etwas Ähnliches, nur noch viel Ambitionierteres hat etwa zeitgleich der Extremradsportler Pierre Bischoff - Race across America-Gewinner von 2016 - unternommen. Im Anschluss an seinen Sieg beim Red Bull Trans Siberian Extreme - das mit 9100 km auf 15 Etappen an 25 Tagen wohl härteste Etappenrennen der Welt - wollte er von Wladiwostok (Russland) aus nach Hause radeln. 16.000 km in 3 Monaten. Ziel Nauders in Tirol, die Wahlheimat des Duisburgers. Über diese lange Reise und über viele andere Dinge hat LiVE-Radsport mit Pierre Bischoff gesprochen - alles im Beisein seiner neuen besten Freundin, einer riesigen belgischen Schäferhündin namens Juri.


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Bis Weihnachten präsentieren wir euch täglich einen besonderen Beitrag, um in der an Radrennen ärmeren Adventszeit keine Langeweile aufkommen zu lassen.


LiVE-Radsport: Im November befindet sich Dein Wahlheimatort Nauders in der Zwischensaison - die Wandertouristen sind längst nicht mehr da und die Skisaison hat noch nicht begonnen. Hat man Dir nach Deiner fast dreimonatigen Odyssee dennoch einen gebührlichen Empfang bereitet?

Pierre Bischoff: Ich bin einmal kurz nach Nauders, habe dort einen Stopp von 2 Tagen gemacht. In der Zwischensaison hat man dort nichts gemacht, vor allem da meine Reise noch weiterging. Ich habe es auch nicht groß angekündigt, dass ich in Nauders bin. Klar, ein paar Einheimische wussten, Pierre ist jetzt da, aber leider endete meine Tour nicht, denn vorher war die ganze Tour anders geplant. Ich hatte ja vorher geplant, über Kirgisistan, Usbekistan zu fahren und dann hätte ich es so gemacht, dass ich bei meiner Tour direkt über Nauders gekommen wäre. Aber so dachte ich, jetzt fahre ich eben noch rauf bis nach Duisburg und dann war eben Duisburg meine Endstation. Dort durfte ich mich zum ersten Mal ins Goldene Buch der Stadt eintragen, das ist eigentlich einmalig. Mit einer schönen Karikatur, neben Frank-Walter Steinmeier und solchen Leuten. [Hundedame Juri streckt sich nach dem Kuchen, den die Kellnerin gerade gebracht hat.] Ne, Juri, nix für Dich.

LiRa: Schlagen wir zunächst eine Brücke zwischen LiVE-Radsport und Pierre Bischoff. Wir sind eine hobbymäßig betriebene Webseite von Fans für Fans, die über das Geschehen im professionellen Straßen-, Bahn-, MTB- und Cross-Radsport berichtet, wobei das Hauptaugenmerk der meisten Leser sicherlich auf dem Radrennsport liegt. Wie sieht es denn da bei Dir aus? Interessierst Du Dich für die großen Events, wie Tour de France oder die Frühjahrsklassiker?

P.B.: Klar verfolgt man auch immer das Profitum. Nicht so, dass ich jetzt sage, ich muss unbedingt zum Beispiel Mailand-Sanremo schauen, aber wenn es sich ergibt oder ich die Möglichkeit habe, gucke ich es natürlich. Ich bin, wenn die Klassikersaison ist, eh auf Mallorca, da hat man eh schon das Radsportvirus. Und klar, Tour de France ist immer ein Muss und auch der Giro, denn der Giro fährt ja bei uns an der Haustür quasi vorbei. Und Tour de France liegt mir natürlich auch am Herzen, weil ich viel in Frankreich schon selbst Rad gefahren bin. Übrigens war ich jetzt sehr überrascht, als ich von Malaga aus durch Spanien gefahren bin – ich habe mir das nie so bergig vorgestellt, die Region Andalusien, und jetzt verstehe ich, warum die Vuelta als so harte Rundfahrt gilt.

Einen Profisportler auflaufen lassen

LiRa: Der professionelle Straßenradsport und der meist von Amateuren betriebene Ultraradsport gelten als zwei getrennte und inkompatible Welten. Das zeigte sich auch beim Red Bull Trans Siberian Extreme in Form Deines kuriosen Zweikampfs mit dem Ex-Radprofi Vladimir Gusev. Erkläre unserer Community doch mal, mit einem Augenzwinkern gefragt, warum ein Race-across-America-Sieger mehr draufhat als ein gestandener Tour-de-France-Teilnehmer.

P.B.: Es ist so, der Vladimir Gusev ist erst mal sehr naiv an die Sache rangegangen, hat sich wohl gesagt „Rad fahren kann ich“. Und es war auch während des Rennens zu sehen, über 200 bis 300 km ist er extrem stark. Aber mir war klar, ich weiß, was es heißt, auch mal 600 km zu fahren und längere Distanzen zu fahren, das wusste der Vladimir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Dann hat er viele kleine Fehler gemacht, Rennfahrerfehler. Wie ich z. B. mal mit der Gangschaltung gespielt hab und es sich anhörte, als würde ich jetzt gleich attackieren, hat er wieder mehr Druck gemacht und das kostet Energie. Und ein anderes Mal war auch ganz lustig, als ich mit dem Gusev zusammen war, auf einer Gegenwind-Etappe, sagte ich, mir geht es nicht so gut, Du kannst ruhig attackieren. Und dann hat er tatsächlich attackiert und ich habe mich die ganze Zeit schön brav abgewechselt mit den Mitverfolgern und habe meine Kraft gespart bei der Etappe. Und das waren dann so Kleinigkeiten, wo man einen Profisportler ein bisschen auflaufen lassen konnte.

LiRa: Kommen wir nun zum eigentlichen Anlass dieses Gesprächs. Du wolltest nach dem Red Bull Trans Siberian Extreme, das Du im zweiten Anlauf gewonnen hast, mit dem Rad von Wladiwostok zurück nach Nauders fahren, unter dem Motto „16.000 km in 3 Monaten“. Man muss dazu sagen, dass Du bereits im Frühjahr für Deinen persönlichen Sponsor Sinalco von Duisburg nach Thessaloniki in Griechenland geradelt bist. Sibirien-Tirol war aber sicherlich noch mal eine andere Hausnummer. Wie kam es zu der Idee?

P.B.: Man muss ja einen Grund finden, warum man überhaupt dieses Red Bull Rennen ein zweites Mal fährt. Und es war so, ich habe im Januar überlegt, will ich jetzt dieses Red Bull Rennen fahren oder nicht und hatte letztes Jahr beim Red Bull Rennen eben eine bestimmte Sache versäumt, und zwar war ich nicht im Baikalsee schwimmen. Das war so einer der Gründe, warum ich gesagt habe, ich fahre. Der zweite Grund war, ich wollte nach Wladiwostok kommen, um von da aus meine Radreise anzutreten. Wladiwostok hat den Vorteil, es ist ein „Kontinent“, das ist ja Eurasien und so kann man, ohne dass man eine Fremdverbindung braucht, theoretisch wieder bis nach Hause zurückfahren. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich das gemacht habe, und zwar hatte damals mit einer Radreise [nach Kroatien] meine Karriere begonnen. Ich weiß zwar noch nicht, ob ich jetzt aufhöre, aber ich habe gedacht, es wäre doch eine schöne Geschichte, wenn ich sagen kann, ich habe auch mit einer Radreise aufgehört.

Begegnungen mit den Menschen

LiRa: Wie verrückt das Unterfangen war, wird einem erst bewusst, wenn man Deine Reiseberichte auf Facebook liest – was hiermit jedem wärmstens empfohlen sei. Wie Du oben schon einmal angedeutet hast, das Ganze verlief anders als gedacht. Du bekamst es mit dem strengen sibirischen Herbst und den schlechten russischen Straßen zu tun und fielst hinter Deinen Zeitplan zurück. Du kamst über Tschita, Perm und Kazan zwar bis nach Moskau, aber Dein Visum lief Mitte Oktober ab und Du musstest Russland vorzeitig verlassen. Würdest Du sagen, dass Du die Schwierigkeit Deines Vorhabens unterschätzt hattest?

P.B.: Habe ich definitiv, das ist so, denn es gibt ja auch einen Grund, warum das Rennen Moskau-Wladiwostok heißt und nicht Wladiwostok-Moskau, weil man einfach ständig Gegenwind hat, wenn man in die Richtung fährt. Und dann kam es für mich auch dazu, dass es mit dem Herbst immer früher dunkel wurde und ich am Anfang außerdem ein bisschen viel Gepäck hatte. Ich bin mit 45 kg Gepäck gestartet, habe dann nach einer Woche in Chabarowsk 15 Kilo weniger Gepäck gehabt, dann waren es noch um die 30 kg. Damit war es OK zu fahren und von da an ging es eigentlich ganz gut, nur das Problem war, dass es früh dunkel wurde und ich nur fahren kann, wenn Tag ist. Das ist der Unterschied, im Sommer kannst du 14, 15 Stunden fahren und da hatte ich dann nur noch so ein Zeitfenster von 8 bis 10 Stunden. Dann bleibt in Abhängigkeit vom Wetter nicht mehr so viel übrig. Und was ich während der Tour festgestellt habe, auch als ich dann die Berichte geschrieben habe, dass es eigentlich viel mehr darum geht, Begegnungen mit den Menschen zu haben und darüber zu berichten als darüber, wie viel Strecke ich gemacht habe.

LiRa: Um die Reise irgendwie mit dem Rad fortsetzen zu können, bist Du von Moskau nach Malaga ins noch angenehm warme Spanien geflogen und dann über Alicante und Barcelona in Richtung Schweiz gefahren, über profilierteres Terrain, als Du es sonst gewohnt bist. Warum hast Du es nicht einfach drangegeben und Dich nach Innsbruck oder Düsseldorf ausfliegen lassen?

P.B.: Wenn man A sagt, muss man auch B sagen und klar, man kann es überspitzt formulieren, ich habe mein Ziel nicht erreicht mit der langen Strecke, aber ich habe auch festgestellt, dass es keinen Sinn macht, auf Strecke zu gehen, auf die reine Zahl der Kilometer. Außerdem gab es ja am 23. November in Duisburg die Wahl zum Sportler des Jahres und deswegen war klar, ich muss irgendwie nach Duisburg kommen. Da habe ich mir gesagt, nehme ich den 17. November als Zieldatum, damit ich vorher noch ein paar Sachen erledigen kann und ich dann Ende November wieder zurück nach Nauders kann. Das war erst mal grob der Plan. Dass ich von Malaga aus nach Hause fahre, hat sich so ergeben, weil Malaga einer der weitesten Punkte weg gewesen ist von Duisburg. Es war auch mal eine Überlegung, die Tour im slawischen Bereich fortzuführen, aber dann habe ich nach dem Wetter geschaut und gesagt, ne komm, ich habe jetzt keine Lust, noch mehr Herbst zu haben. Das war so oder so der längste Herbst meines Lebens, seit Ende August hatte ich nur noch Herbst.

LiRa: Du hast auf Deiner langen Reise viele liebenswürdige Menschen kennengelernt und viele nette Gespräche geführt, mit Händen, Füßen und Übersetzer-Apps. Was war, wenn sich das überhaupt sagen lässt, unter allen Erlebnissen Dein absolutes Highlight?

P.B.: Also eine der lustigsten Begegnungen mit den Menschen war die mit dem Wodka-Schwarzbrenner in einer 10.000-Einwohner-Stadt zwischen Birobizhan und Tschita. - [Juri bettelt um Kuchen.] Wieder Platz machen! - Das war eine Geschichte, wo man merkt, man kann nicht kommunizieren miteinander, denn der hat sich mit Übersetzungs-Apps nicht so ausgekannt, aber es hat trotzdem gepasst, weil eine gesunde Körperchemie vorhanden war und man sich wirklich gut verstanden hat auch ohne Worte. Und dann so die Kleinigkeiten wie: ja komm, jetzt müssen wir erst mal einen Wodka trinken auf die Freundschaft. Als seine Frau das Bett hergerichtet hat, haben wir den ersten Wodka getrunken, dann sind wir wieder rein ins Haus und sie hat sie mich gefragt, ob ich Hunger habe. Ja klar, essen geht immer, also hat sie gesagt, OK ich mache was zu essen. Und der Mann: jetzt komm, jetzt müssen wir noch mal in die Garage noch mal einen trinken auf Gesundheit. Es sagen ja viele, die Russen sind immer betrunken…, ich meine klar, die haben vielleicht ein bisschen was angetrunken, das stimmt vielleicht schon, aber man muss ja auseinanderhalten, die Deutschen trinken auch mal ein Glas Bier oder Glas Wein. Daher kann man nicht einfach sagen, jeder Russe ist sternhagelvoll, das war nicht der Fall.
Das Problem ist, wir haben in unserer Medienwelt immer sehr schnell ein negatives Bild von Russland adaptiert. Ich kann zwar verstehen, wenn Leute sagen, mit der Politik Putins möchten sie nichts zu tun haben, aber man fördert ja nicht den Putin, sondern man möchte das Land entdecken. Und daher kann ich für mich sagen, ich habe viel gelernt von dem Land, auch Erfindungsreichtum, weil die Russen immer eine Lösung finden. Es wirkt zwar manchmal skurril, aber es ist eine Lösung. - [Juri bettelt.] Platz, danke, keine Sorge der macht nichts.

Es zwickt nur kurz

LiRa: Und was war das Schlimmste, Scheußlichste oder Schrecklichste, was Dir unterwegs passiert ist?

P.B.: Was Kurioses war, ich bin gefahren mit dem Rad und es war Nebelwetter, so 2 bis 4 Grad etwa und so leicht feucht und diesig. Da überholte mich ein Auto und bleibt stehen und im Normalfall denkt man erst mal, jetzt kommt irgendwas Positives. Aber der bleibt stehen und zeigt mir den Vogel und fährt weiter. Extra aktiv stehen zu bleiben, um mir den Vogel zu zeigen, da war schon seltsam. Aber in positiver Hinsicht gab es die Geschichte mit dem LKW-Fahrer. Ich glaube, auf deutschen Straßen würde jetzt nicht ein LKW-Fahrer stehen bleiben und fragen, hast Du Lust auf einen Kaffee, ich trinke jetzt in meinem Führerhaus Kaffee. Und das ist das, wo man sieht, die Russen haben nicht viel, aber sie sind sehr, sehr herzlich.
Ich hatte zwar auch mal einen Sturz gehabt, aber das kann immer passieren, dass man mal stürzt, dass man Schürfwunden hat, aber dann schüttelt man den Kopf, Krone richten und weitermachen. Das ist dann eben so, es zwickt kurz, tut ein bisschen weh, auch die Schürfwunden tun weh, aber ich kann ja trotzdem noch Rad fahren.

LiRa: Was hast Du während Deiner Reise am meisten vermisst?

P.B.: Sonne und Wärme. Also ich hatte zwar nicht nur schlechte Tage, aber es war schon oft verhangen und auch oft neblig - Juri! - und immer wenn die Sonne rauskam, habe ich dann in die Sonne geguckt und schön ne Minute Sonne „getankt“, wie es ja nicht ohne Grund heißt. Ich habe immer versucht, mit der Sonne Kraft zu tanken.

LiRa: Hast Du eine Ahnung, wie viele Kilometer Du nun zwischen Wladiwostok und Nauders bzw. Duisburg mit dem Umweg über Spanien wirklich aus eigener Körperkraft mit dem Rad zurückgelegt hast?

8100 km so ungefähr und 4000 km mit dem Bus.

Gefinisht und nebenbei gewonnen

LiRa: Denkst Du, dass Dich diese dreimonatige Reise mehr an Deine Grenzen gebracht hat als alle Extrem-Rennen, die Du zuvor bestritten hast?

P.B.: Beim Rennen hat man einen Riesenvorteil, man hat immer noch andere Leute um sich rum, man kann sich mit anderen Leuten ablenken, man kann feststellen, wie geht’s denen, dann weiß man selber, geht es einem gut oder weniger gut. Da kann man sich sehr stark orientieren. Bei einer Radreise muss man wirklich alles alleine machen, du weißt nie wirklich beim Losfahren, wo übernachtest du, was hat man für eine Infrastruktur. Ich habe einmal ein Stück gehabt, 200 km ohne irgendwas und wenn du dann nur noch eine Halbliterflasche Wasser hast und dir überlegst, trinke ich die jetzt oder nicht, dann sagt man doch eher ne, weil man weiß nicht, wann mal was kommt. Das sind Grenzerfahrungen und es hat mir gezeigt, dass wenn ich mir ein Ziel setze, dass ich es erreiche. Es geht mir nicht ums Gewinnen bei Radrennen, sondern einfach ums Finishen, das habe ich beim Red Bull Rennen ja geschafft, zu finishen - nebenbei habe ich gewonnen - und bei der Radreise eben auch. Dass ich mein Maul so weit aufgerissen habe zu sagen, ich mach das, dann wirklich das durchgezogen habe, von Wladiwostok aus zu starten und nach Hause zu fahren.

LiRa: Mal eine banale Frage: Wie hast Du es eigentlich geschafft, in der ganzen Zeit gesund zu bleiben? Unsereiner hätte sich vermutlich schon beim ersten Schneefall in Russland eine dicke Erkältung geholt.

P.B.: In den ganzen 115 Tagen, die ich unterwegs war, hatte ich einmal eine Woche, wo ich verkühlt war, ein bisschen eine Erkältung hatte, aber es ging immer noch gut zum Fahrradfahren. Wenn man nicht in den roten Bereich reinfährt, ist das kein Problem. Und ich habe immer Vitamine A bis Z genommen in chemischer Form und mich ansonsten auch immer rechtzeitig warm angezogen. In den Nächten, klar, war es kalt, da musste ich manchmal mit Kleidung im Schlafsack schlafen, wenn ich draußen geschlafen habe. Aber ich habe immer einfach versucht, mich zu bewegen, Temperatur im Körper zu machen und bei Regen nicht zu anstrengend zu fahren, dass ich nicht von innen schwitze. [Juri bettelt.] Süßes kriegt sie nicht, dafür hat sie ihr Trockenfutter.

LiRa: Nun möchte ich Dir noch ein paar allgemeine Fragen stellen, damit die LiVE-Radsport-Leser Dich noch besser kennenlernen können. Aus aktuellem Anlass: Warum hast Du Dir jetzt einen Hund zugelegt bzw. schenken lassen?

P.B.: Ich brauche etwas, das mich in meinem Leben etwas verlangsamt und deswegen habe ich jetzt einen Hund, damit ich auch mal zu Hause sein MUSS, rausgehen muss bzw. darf. Das ist auch ein Privileg, dass ich einen Hund haben darf, einen so gut erzogenen, wo ich nicht viel machen musste. Wenn ich um die Welt radle z. B., kommt sie einfach mit: Anhänger, Hund rein…

Reichtümer bestehen aus Erlebnissen

LiRa: Du bist einer der gelassensten und unbekümmertsten Menschen, die mir je begegnet sind. Verrätst Du uns das Geheimnis Deines unerschütterlichen Optimismus?

P.B.: Es ist so wie bei meinem Hund, er hat noch nie was Negatives erfahren, deswegen glaubt er immer nur an Gutes. Auch ich lebe bewusst naiv. Ich glaube immer an das Gute und für mich liegen Reichtümer nicht in finanziellen Mitteln, sondern Reichtümer bestehen aus Erlebnissen. Es gibt ein ganz schönes Buch, das nennt sich „The Big Five for Life“, und da steht eine sehr nette Geschichte drin. Und zwar fragt der Autor, wenn Du sterben würdest, wie würde Dein Museum aussehen? Und ich weiß für mich, ich habe schon ein recht interessantes Museum und freue mich, immer neue Bilder in dieses Museum einzufüllen. Vieles davon hängt mit Radfahren zusammen, aber z. B. auch mit anderen Menschen.
Ich war schon in so vielen Ländern inzwischen, auch z. B. in Serbien, wo jeder sagt, wie kann man nur dahinfahren. Oder Mazedonien, ist nicht gerade das, wo man sagt, ein tolles Land. Auch Pakistan, Marokko, wo jeder Vorbehalte hat, was ich verstehen kann, aufgrund der Medien, wo ich aber festgestellt habe, die leben dort ja genauso, da will keiner was Böses. Daher habe ich eine Ruhe, die mich geprägt hat durch die ganzen Reisen, und manchmal kann die Ruhe irgendwie als Arroganz wirken, aber es ist nicht arrogant gemeint.

LiRa: Aber es gibt auch Dinge, mit denen man Dich so richtig auf die Palme bringen kann, oder?

P.B.: Ja, mit Ungerechtigkeit. Wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden oder jemand unfair behandelt wird. Wenn sich einer mehr herausnimmt, als ihm zusteht. Das sind dann so die Dinge, wo ich mir sage, hast Du sie noch alle? - Juri Platz, Juri Platz, Juri! - Das ist etwas, mit dem ich überhaupt nicht zurechtkomme, das mag ich nicht. Denn man kann nicht nur nehmen, nehmen, nehmen. Deswegen bin ich ja auch z. B. gerade hier [Dübendorf bei Zürich]. Trek zieht gerade um und ich hab gesagt, ich würde euch gerne helfen, damit ich einfach was wiedergeben kann für das Sponsoring, das ich von Trek kriege. Ich kriege viel Hilfe von den Menschen, wenn ich z. B. irgendwo übernachten darf, und es ist klar, dass ich anderen Leuten genauso helfe – oder einem Hund helfe.
[Überreicht seine Visitenkarte.] Hier hinten auf der Visitenkarte siehst Du meinen Zweck der Existenz und dann noch ein Anagramm, das mich sehr gut beschreibt. Viele sagen auch gerne, ich verkaufe mich unter Wert, und da sage ich, das weiß ich, aber ich brauche mich nicht zu verkaufen. Ich habe da letzthin ein sehr schönes Video gesehen, da hat jemand gesagt, die meisten Menschen leben gerne auf einer gerade Linie, bei der immer alles gleich ist. Aber wenn man sowas hat, dann ist man eigentlich tot, die Herzfrequenz geht nämlich eigentlich rauf und runter. [Nimmt Papier und Stift und erklärt den Zusammenhang zwischen Situation, Gefühl, Gedanken und dem daraus resultierenden Verhalten.] Jeden Morgen, wenn Du aufstehst, was siehst Du als Erstes? Dein Spiegelbild und mit dem muss Du im Reinen sein.

Motivationskünstler

LiRa: Gab es jemals einen Moment in Deinem Leben, in dem Du Dir geschworen hast, niemals wieder aufs Rad zu steigen?

P.B.: Also aufs Rad glaube ich nie. Also in Barcelona haben wir mal einen Tag gehabt, da war es viel zu windig, da war es wirklich gefährlich zu fahren, aber das war einfach nur wegen der Sicherheit. Es gibt schon Tage, wo man sagt, man hat keine Lust, aber dann kommt wieder das mit den Gedanken. Man sagt, theoretisch Gefühl keine Lust, aber ich will nicht an das Gefühl „keine Lust“ denken, sondern ich will dann wieder mit einem Gedanken arbeiten, der das ausblendet, sodass ich dann handeln und weiter Fahrrad fahren kann. Deswegen habe ich auch geschrieben, wer A sagt, muss auch B sagen. Selbst schuld, also musst Du fahren.

LiRa: Was würdest Du heute tun, wenn aus Dir nicht der Extremsportler und Abenteurer Pierre Bischoff geworden wäre?

P.B.: Viel und lange arbeiten. Wenn Arbeit ist und wenn es sein muss, arbeite ich immer intensiv und ich habe ja auch viele Qualifikationen. Ich hatte ja mal eine Zeit lang als Abteilungsleiter gearbeitet und da hatte ich schon Spaß, Leute zu formen, ein Team zu gründen und es ist immer noch in mir, dass ich Leute führen möchte. Ich hatte immer einen sehr offenen Führungsstil, dass die Mitarbeiter egal in welcher Position selbst entscheiden sollen, was ist richtig, was ist falsch. Sowas könnte ich mir absolut wieder vorstellen.

LiRa: In Deiner Videobotschaft anlässlich Deines Siegs im August hast Du gesagt, nach Deiner Heimreise würdest Du überlegen, „was ich alles erreicht habe und was danach noch kommen könnte“. Bist Du schon zu einer Antwort auf diese Fragen gelangt?

P.B.: Als Idee steht im Kopf, mit dem Hund eine Weltreise zu machen - oder eben Afrika. Das sind so die zwei. Afrika ist mit einem meiner Sponsoren, mit Sinalco, verbunden, weil der auch in Afrika präsent ist, da würde sich das sehr gut ergänzen. Und die Weltreise, die hatte ich erst mal als Streckenrekord geplant, aber jetzt mit der Juri geht das nicht als Streckenrekord, weil ich bewusst die Verantwortung annehme. Ich kann mir aber schon vorstellen, dann auch wieder im eurasischen Bereich unterwegs zu sein. Vielleicht auch um die Welt, das muss man gucken, das ist Zukunftsmusik. Weil alles, was nicht mehr auf eurasischem Boden ist, relativ schwer wird. Ich kann nur mit der Fähre fahren, im Flugzeug müsste ich danach in Quarantäne gehen mit dem Hund.

Miteinander fahren

LiRa: In einem anderen Interview habe ich gelesen, dass Du mit jetzt 34 Jahren den Wettkampfsport aufgeben willst. Gibt es nicht noch irgendein Langdistanz-Rennen, das Du gerne erstmals oder noch ein weiteres Mal bestreiten würdest?

P.B.: Wettkampfsport ist jeder will sich immer duellieren und zeigen, wie stark er ist. Für mich ist es nie ein Wettkampf gegen jemanden, sondern ich fahre mit jemandem. Klar, man fährt zwar gegeneinander, aber ich fahre jetzt nicht, um jemanden kaputtzumachen, und in Russland war es auch so. Ich kann nicht die ganze Zeit Rücksicht auf die anderen nehmen, es ist nun mal ein Rennen, dann wird von mir erwartet, dass ich fahre wie ein Rennfahrer. Aber nichtsdestotrotz habe ich in Russland eine sehr gute Mischung gefunden zwischen Miteinanderfahren und Gegeneinanderfahren. Auch beim Race across America, da war es mir wichtig, nicht nur eine schnelle Zeit zu fahren, sondern da waren so viele Menschen am Straßenrand, da bleibst du auch mal stehen und machst mal ein Foto mit denen. Ich hätte das Race across America viel schneller fahren können, aber mir ging es nicht darum.

LiRa: Eine Weltreise – ob mit oder ohne Streckenrekord von 79 Tagen - ist ein kostspieliges Unterfangen. Kann man Dich dabei irgendwie unterstützen?

P.B.: Jein. Klar, wenn einer aufsteht und sagt, er hat zu viele Millionen und investiert die für diverse Projekte, dann wüsste ich ganz viele lustige Sachen, aber ich glaube, dass dieser Fall nie eintreten wird. Ich müsste z. B. ein Mindestbudget für die 79-Tage-Geschichte von 100.000 Euro zusammenbringen und auch das ist relativ viel Geld. Daher sage ich einfach, wie es sich ergibt, vielleicht gibt es ja mal irgendwann einen Menschen, der sagt, er hat zu viel Geld, das soll es ja geben auf der Welt. Aber ich freue mich auf jeden Fall über jeden, der den Spendenbutton auf meiner Homepage anklickt.

LiRa: Gegen Ende unseres Gesprächs spielen wir das beliebte Entweder-oder-Spiel. Ich nenne Dir zwei alternative Begriffe und Du sagst mir, für welche Option Du Dich entscheiden würdest und warum.
Fangen wir ganz einfach an – Pizza oder Pasta?

P.B.: Pizza, weil die in Nauders eine sehr gute Pizzeria haben.

LiRa: Vom Essen nun zum Trinken – Sinalco oder Red Bull?

P.B.: Sinalco klar. Ich hab im Rennen vielleicht vier Dosen Red Bull getrunken, und was ich besser finde noch als Red Bull ist Red Bull Cola.

LiRa: Etwas für die Technikinteressierten unter uns – Shimano oder SRAM?

P.B.: Mit Shimano ist es immer einfach. Auch wenn SRAM moderner, cooler, trendiger sein mag.

LiRa: Und zum Schluss die schwierigste Frage – Duisburg oder Nauders?

P.B.: Die ist nicht schwierig, die Frage. Nauders. Ich kann zwar nie ein ganzes Jahr dort leben, ich brauche es zwar, dass man mal wegkommt, damit man sich freut, wieder hinzukommen. Aber ich habe dort ein großes Netzwerk an Leuten, Freunden. Es ist für mich auch immer beruhigend da zu sein. Ich weiß, ich komm die Berge hoch, wenn ich mich irgendwohin flüchten möchte. In Duisburg, da hast du immer Stress, hast viele Menschen. Bin immer mal wieder froh, kurz in Duisburg zu sein, um dann wieder zu wissen, warum ich es in Nauders so schön finde.

LiVE-Radsport dankt Pierre Bischoff für das Gespräch und die Erlaubnis, Fotos von seinem Facebook-Account nutzen zu dürfen.






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