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Vier von fünf: Gilbert gewinnt mit Paris-Roubaix ein weiteres Monument – Politt erst im Sprint geschlagen
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14.04.2019

Vier von fünf: Gilbert gewinnt mit Paris-Roubaix ein weiteres Monument – Politt erst im Sprint geschlagen

Info: PARIS - ROUBAIX 2019 (1.UWT)
LiVE-Ticker zum Nachlesen: Flash | Text
Autor: Heike Oberfeuchtner (H.O.)



Roubaix, 14.04.2019 – Bei der 117. Austragung des legendären Eintagesklassikers Paris-Roubaix hat der 25-jährige Deutsche Nils Politt (Katusha-Alpecin) den Sieg knapp verpasst und sich nach 257 Kilometern zwischen Compiègne und dem Velodrom in Roubaix Ex-Weltmeister Philippe Gilbert (Deceuninck-Quick Step) geschlagen geben müssen. Die beiden gehörten zu einer zwischenzeitlich 5 Mann starken Spitzengruppe, welche das Finale des von 29 Pavé-Stücken geprägten Rennens bestimmte. Platz drei ging an Gilberts Teamkollegen und Landsmann, den belgischen Meister Yves Lampaert. Von den fünf Monumenten des Radsports hat der mittlerweile 36-jährige Gilbert nun vier gewonnen.

Ein Rennen ohne klaren Top-Favoriten
Es war der erste Paris-Roubaix-Sieg für die Mannschaft Deceuninck-Quick Step seit fünf Jahren, seit Niki Terpstras Erfolg im Jahr 2014 (damals noch für „Omega Pharma-Quick Step“). Dass ausgerechnet Philippe Gilbert diese kleine Durststrecke würde beenden können, war nicht unbedingt selbstverständlich gewesen, da der Weltmeister von 2012 in den letzten Wochen, nach seinem Etappensieg bei der Tour de la Provence, gesundheitlich nicht auf der Höhe war. Bei der E3 BinckBank Classic wurde er Elfter, bei Gent-Wevelgem 22er und die Flandern-Rundfahrt fuhr er nicht zu Ende. Auch die anderen üblichen Verdächtigen, wie etwa Vorjahressieger Peter Sagan (Bora-Hansgrohe) und Vorvorjahressieger Greg van Avermaet (CCC), konnten im diesem Frühjahr noch nicht zur Höchstform auflaufen, sodass überall von einem sehr offenen Rennen ohne klaren Top-Favoriten gesprochen wurde. In gewisser Weise spiegelte sich das dann tatsächlich im Verlauf der 117. Austragung wider.

Fast 100 Kilometer ohne erfolgreiche Ausreißergruppe
Wie schon so oft in den letzten Jahren präsentierte sich das Wetter in der „Hölle des Nordens“ auch diesmal weniger infernalisch, als vielmehr trocken und freundlich, wenn auch recht kühl. Der Wind, der mal leicht von vorne, mal leicht von der Seite kam, spielte ebenfalls keine entscheidende Rolle. 100 Kilometer waren zu absolvieren, bis der erste von 29 Sektoren erreicht wurde, und trotz dieser großen Distanz kam keine frühe Fluchtgruppe zustande. Nicht nur die „kleineren“ Mannschaften, also die eingeladenen Professional-Continental-Teams, auch die WorldTeams bemühten sich, immer wieder gingen einzelne Fahrer oder auch kleinere Gruppen, aber niemand wurde wirklich fortgelassen. Zu sehr hatte es sich mittlerweile herumgesprochen, dass Mitglieder von frühen Spitzengruppen im Finale noch etwas reißen können, man denke etwa an Mathew Hayman, den Sensationssieger von 2016, oder an Sylvain Diller, der letztes Jahr immerhin Zweiter wurde. Schon die erste Rennstunde wurde so mit einem hohen Stundenmittel – 44,5 km/h – zurückgelegt und später sollte es auch nicht wesentlich langsamer werden.


Das Profil von Paris-Roubaix

Politt setzt sich schon früh in Szene
Und dann ganz plötzlich, 10 Kilometer vor dem ersten Sektor, sah man doch eine größere Gruppe vorausfahren, dahinter zwei Verfolgergruppen, dann erst das Feld, das sich wohl zu sehr in Sicherheit gewogen hatte. Die beiden Gruppen schlossen sich nach dem zweiten Pavé-Stück – Briastre à Viesly, welches man dem 2018 nach einem Herzanfall während Paris-Roubaix verstorbenen Michael Goolaerts gewidmet hatte – zusammen, sodass 23 Fahrer an der Spitze lagen. Und das waren keine Pappenheimer: unter anderem Europameister Matteo Trentin (Mitchelton-Scott), der frühere U23-Sieger Damien Gaudin (Total Direct Energie) und der Deutsche Nils Politt nebst Helfer Marco Haller fuhren da vorne mit. Politt galt nach Platz 7 im Vorjahr und hervorragenden Leistungen in diesem Frühjahr als einer der Siegkandidaten. Dass er sich schon so früh in Szene setzen und später Zweiter werden konnte, widerspricht übrigens der häufig geäußerten Radsportweisheit, wonach es klug ist, möglichst lange unsichtbar zu bleiben. Eine Vorentscheidung fiel hier aber noch längst nicht, denn die Mannschaften, die in der Spitze nicht vertreten waren, vor allem Sky und Bahrain-Merida, verkleinerten den auf 50 Sekunden gestiegenen Vorsprung bald wieder. Als dann auch noch Jumbo-Visma in die Nachführarbeit einstieg, konnte die Situation etwa 120 Kilometer vor dem Ziel auf Höhe von Sektor 23 bereinigt werden. Das Feld war wieder geschlossen, aber natürlich aufgrund von Stürzen und Defekten längst nicht mehr vollzählig.

Van Aert mit Defekt im Wald von Arenberg
Es entwickelte sich durch Absetzbewegungen und Brüche im Feld eine sehr unübersichtliche Situation. Zwischenzeitlich lagen 30-40 Fahrer etwa 40 Sekunden vor einer Gruppe um Peter Sagan und dem Mailand-Sanremo-Zweiten Oliver Naesen (Ag2r-La Mondiale). Durch die Arbeit ihrer beider Mannschaften wurde aber auch diese Sache aus der Welt geschafft – rechtzeitig vor dem Trouée d’Arenberg, Sektor 19 und erster 5-Sterne-Abschnitt. Das Kopfsteinpflaster dort muss momentan aufwändig von Gräsern und Moosen gereinigt werden, 500 Meter von insgesamt 2300 hat man offenbar schon geschafft. Nach einer kurzen Ruhephase, etwa 100 Kilometer vor dem Ziel, erreichte man diesen legendären „Wald“, in den Van Avermaet als Erster hineinfuhr. Alexander Kristoff (UAE Team Emirates), der Sieger von Gent-Wevelgem und Dritte der Ronde, befand sich zu diesem Zeitpunkt mit bereits 2 Minuten Rückstand in einer abgesprengten Gruppe, aufgrund mehrerer Defekte. Sein Tubeless-Setup schien ihm kein Glück gebracht zu haben. Und apropos Pech: Radcross-Vizeweltmeister Wout van Aert (Jumbo), dem aufgrund seiner Resultate bei den bisherigen Klassikern heute auch viel zuzutrauen war, bekam auf einmal Probleme mit der Schaltung.

Politt erneut in Aktion, Gilbert tritt auf den Plan
Im Nu verlor Van Aert 40 Sekunden auf das Hauptfeld, das sich nach Arenberg erst mal wieder sammeln konnte. Der Belgier riskierte Kopf und Kragen, um wieder Anschluss zu finden, und als er es fast geschafft hatte, rutschte er in einer Kurve weg und schlug hart auf dem Boden auf. Erneut jagte er durch die Wagenkolonne den anderen hinterher und demonstrierte seine fantastische Radbeherrschung. Derweil machte Ag2r, namentlich der unermüdliche Stijn Vandenbergh, das Tempo und führte das immer noch 60 Mann große Peloton über den besonders langen Sektor 17. Eine Vierergruppe setzte sich ab, aus sich der wenig später Wesley Kreder (Wanty-Gobert) als Solist lösen konnte. Zu ihm schloss Nils Politt etwa 65 Kilometer vor dem Ziel auf, nachdem er in der Verpflegungszone forciert hatte, und trat damit zum zweiten Mal in Erscheinung. Auch Philippe Gilbert und Politts Landsmann Rüdiger Selig (Bora-Hansgrohe) fuhren zu Kreder hin, welcher kurz darauf im Feld verschwand. Dort befand sich mittlerweile auch wieder Wout van Aert. Die Trek-Mannschaft von John Degenkolb, Paris-Roubaix-Sieger von 2015, führte nach, Katusha und Deceuninck-Quick Step störten.

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Vorentscheidung an ähnlicher Stelle wie letztes Jahr
Kurz vor Sektor Nr. 12 – Auchy-lez-Orchies à Bersée, eben dort, wo Peter Sagan im letzten Jahr seine am Ende siegreiche Attacke gestartet hatte – bildete sich eine Verfolgergruppe, welcher wiederum der dreifache Weltmeister, außerdem der belgische Meister Yves Lampaert, der frühere Paris-Roubaix-Dritte Sep Vanmarcke (EF Education First) sowie der unkaputtbare Wout van Aert angehörten. Selig fiel aus der Spitzengruppe zurück und Gilbert befand sich kurzzeitig alleine vorne, nachdem er sich von Politt gelöst hatte. Jedoch startete er kein 50-Kilometer-Solo (Flandern 2017 lässt grüßen), sondern ließ sich von den nachfolgenden Fahrern einholen. So kam ein Quintett zusammen, das von Sagan in den nächsten 5-Sterne-Sektor, Mons-en-Pévèle, geführt wurde. Dort übernahmen Lampaert und Gilbert die Spitze und bauten den Vorsprung aus. Die fehlenden Favoriten, wie Van Avermaet, Degenkolb oder Naesen, bekamen es in der Verfolgergruppe mit den Deceuninck-Teamkollegen zu tun, die sich an das Hinterrad eines jeden hängten, der sich in Richtung Spitze absetzen wollte. Da die Fünfergruppe auch gut zusammenarbeitete, wurde die Lücke noch größer; die Nachführarbeit von Ag2r und Groupama ließ den Vorsprung aber bei 50-55 Sekunden stagnieren.

Ein Herzschlag-Sprintfinale
23 Kilometer vor dem Ziel, kurz nach Sektor Nr. 6, griff Philippe Gilbert erstmals an und wurde augenblicklich von Sagan gekontert. Auch Politt erwies sich als sehr aufmerksam, während Van Aert nun doch am Ende seiner Kräfte war. Nach dem nächsten Sektor kamen hingegen Vanmarcke und Lampaert noch einmal zurück. Der Mann im belgischen Meistertrikot setzte sich im dritten 5-Sterne-Abschnitt, dem Carrefour de l’Arbre, erneut an die Spitze und opferte seine letzten Körner für den Teamkollegen, welcher kurz darauf erneut attackierte. Wieder parierte Sagan den Vorstoß als Erster; als es dann jedoch an Nils Politt war, die Karten auf den Tisch zu legen, konnte der slowakische Meister nicht mehr hinterhergehen. Dem fulminanten Angriff des Deutschen in Sektor Nr. 3 war nur Gilbert gewachsen. Sagan, Lampaert und Vanmarcke fielen zurück, wobei Letzterer sich hauptsächlich aufgrund eines Defekts von seinen Podiumsträumen verabschieden musste. Der Vorsprung von Politt und Gilbert vergrößerte sich, sie begannen sich zu belauern. Im Velodrom kam es zu einem hochspannenden Schlagabtausch, wobei der 25-jährige Deutsche vorne fuhr und immer wieder über die Schulter schaute – in das Pokerface des 11 Jahre älteren Belgiers. Der zog im Schlussspurt links unterhalb der Sprinterlinie an Politt vorbei und gewann bei seiner erst dritten Teilnahme die „Königin der Klassiker“. Einzig und allein Mailand-Sanremo fehlt ihm jetzt noch von den 5 Monumenten.

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Video der Zielankunft






Gilbert gewinnt mit Paris-Roubaix ein weiteres Monument (Foto: Tour de Suisse ZF 2018, Christine Kroth, cycling-and-more)
Gilbert gewinnt mit Paris-Roubaix ein weiteres Monument (Foto: Tour de Suisse ZF 2018, Christine Kroth, cycling-and-more)

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