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Leistungsentwicklung im Profiradsport und Doping

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forelle

26.05.2010 14:35

Aus dem cyclingnews Forum:

www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20473822

Tour de France, Giro, Vuelta, and classic European races show a unique progression of road cycling speed in the last 20 years.

El Helou N, Berthelot G, Thibault V, Tafflet M, Nassif H, Campion F, Hermine O, Toussaint JF.

Institut de Recherche Biomedicale et d'Epidemiologie du Sport (IRMES), Paris.

"…However, after 30 years of stagnation, a blunt progression phase was observed after 1993, with a 6.38% increase in mean cycling performance. Although further research is required to validate the direct causes and consequences of our findings, performance modelling has important implications for the role of extra-physiological parameters." p. 795.

Also, the article discusses just before the conclusion the following paradox - that between 1960 and 1989 the relationship between distance and height climbed in the Tour de France showed a coherent relationship, in that the longer the distance and the more metres cyclists were forced to climb the slower the average speed of the Tour de France was. However, post 1989 a paradox resulted, and I will quote:

"During period 4, total distance (D) in the Tour de France increased from 3285 km to 3944 km (1989–1997) and total altitude climbed (A) increased from 24,308 m to 41,057m. In theory, both of these changes should make the race more difficult. The expected result would have been a decrease in mean speed [11.3% speed reduction due to the increased race distance (Figure 5D), and 6.5% speed reduction due to the increase in A (Figure 5A)]. In fact the change observed was a 4.5% improvement (from 37.48 km.h* in 1989 to 39.24 km.h in 1997), contributing to the 6.38% improvement of global road cycling progression in period 4 (Figure 1)."


Tour de France, Giro, Vuelta und Europäische Classiques zeigen eine einzigartige Entwicklung der Strassenradrennsport Geschwindigkeit über die letzten 20 Jahre.


"...Nach 30 Jahren Stagnation, konnte nach 1993 eine saftige Fortschrittsphase mit einer Verbesserung im arithmetischen Mittel von 6.38% beobachtet werden. Obwohl weitere Forschungsarbeiten notwendig sind um die direkten Ursachen und Konsequenzen unserer Ergebnisse zu bestätigen, hat die Leistungs-Modellierung wichtige Auswirkungen auf die Rolle von nicht-physiologischen Parametern." S. 795

Der Artikel bespricht auch die folgende Paradoxe; zwischen 1960 und 1989 war wies das Verhältnis zwischen Distanz und Höhenmetern in der Tour de France ein kohärentes Verhältnis auf, d.h. je länger die Distanz und je mehr Höhenmeter die Fahrer zurücklegen/erklimmen müssten, umso tiefer fiel die Durchschnittsgeschwindigkeit. Seit 1989 hat sich jedoch ein paradoxes Resultat eingestellt, ich zitiere:

"Während Periode 4, erhöhte sich die Gesamtdistanz (D) von 3285km auf 3944km (1989-1997) und die Höhenmeter stiegen gesamthaft von 24,308m auf 41,057m. Theoretisch, müssten diese beiden Veränderungen das Rennen schwieriger machen. Das erwartete Resultat wäre eine Reduzierung des arithmetischen Mittels der Geschwindigkeit [11.3% Geschwindigkeitsreduzierung aufgrund der erhöhten Renndistanz (Grafik 5D) sowie 6.5% Geschwindigkeitsverminderung aufgrund Steigerung der Höhenmeter (Grafik 5A)] gewesen. Tatsächlich aber wurde eine Erhöhung von 4.5% (von 37.48km/h im 1989 auf 39.24km/h im 1997) festgestellt, welche einer Leistungsverbesserung von 6.38% für die Periode 4 (Grafik 1) entspricht."

Für den Laien zusammengefasst bestätigt sich hier in Zahlen, was wir bereits wussten: Der Einzug von EPO und Blutdoping erfasste in den 90er Jahren das ganze Feld. Die Rennen wurden anspruchsvoller, währenddem paradoxerweise die Durschnittsgeschwindigkeiten anstiegen.

Leider bin ich nicht im Besitz des pdf Dokumentes, aber es wäre interessant zu erfahren, wie sich diese Entwicklung in den Folgejahren fortgesetzt hat.

Interessanterweise hatten wir am Zoncolan wie auch Kronplatz diese Woche tiefere Leistungswerte und höhere Siegerzeiten im Vergleich zu den Vorjahren. Währenddem dies teilweise evtl. auf die extrem harten Etappen im diesjährigen Giro zurückzuführen ist, scheint dies doch sehr interessant. Die Verhältnisse der Schotterstrasse auf den Plan de Corones waren zudem signifikant Besser als im 2008 (wo anzunehmen ist, dass die Mehrheit der vorderen Fahrer voll auf CERA war, dass dazumals noch als nicht nachweisbar galt und einige davon inzwischen auch überführt wurden. UCI was geschah eigentlich mit dem Nachtesten der 2008er Proben? Funkstille...?!).

Auch bei diesen Leistungen, kann man sicher noch nicht von sauberen Leistungen sprechen, aber es scheint eindeutig, dass es zumindest nicht schlimmer geworden ist und in letzter Zeit keine neuen, signifikant leistungssteigernden Mittel oder Methoden im Feld benutzt werden. Verschiedene Hinweise zeigen darauf, dass man sich vermehrt auch wieder dem günstigeren (Wirtschaftskrise?) Microdosing widmet www.nytimes.com/2010/05/26/sports/cycling/26micro.html?ref=global.

Es wird interessant sein, die Leistungsentwicklungen nun über einen längeren Zeitraum und mehrere Rennen zu verfolgen. Hat sich die Radsportmafia hinter ihrer Omertà auf eine gewisse Selbstregulierung geeinigt? Voll, aber nicht mehr ganz so ans Limit?!
Contador

Gast
26.05.2010 20:19

Bessere Trainingsmethoden
Ne, aber ehrlich. Ist doch klar, dass die nach 2008 Vorsichtiger geworden sind. Fuentes, Landis und Ricco haben die anderen eben zum Nachdenken gebracht. Die haben wahrscheinlich gerade keinen guten Ersatz für CERA. Wenn wieder was neues auf dem Markt ist, das nicht entdeckt werden kann wirds auch wieder schneller...
Pirasek

Gast
26.05.2010 22:03

In den letzten Jahren bringt man die Leistungsentwicklung vieler Sportarten hauptsächlich mit Doping in Verbindung. Wenn man jedoch Jahrzehnte miteinander vergleicht und die Veränderungen hauptsächlich dem Doping zuschreibt, unterliegt man einem grossen Fehler.

Doping hat lediglich einen Einfluss auf die Entwicklung, ist aber längst nicht die Hauptursache der Veränderungen. Hierzu zählt auch die massiv veränderte Trainingsmethodik, massiv verbesserte legale medizinische Trainingsunterstützung, verändertes Material (massiv leichtere Fahrräder, grössere Übersetzungsauswahl, leichtere und schnellere Reifen, Aerodynamik, usw.), Sporternährung (grosse Fortschritte), aber auch veränderte Renntaktik, noch intensiver zielfokussierte Teamkonstellationen und -Taktik, anderes Teamgefüge, grösserer und besser ausgebildeter Betreuerstab, und und und.

Auch Vergleiche zwischen härteren und einfacheren Etappen hinken. Auch heute noch gibt es langweilige Etappen welche mit einem geringeren Stundenmittel absolviert werden, als schwierigere Etappen, bei denen Favoriten und deren Teams schon früh gefordert sind. Die Veranstalter versuchen vermehrt solche Etappen einzubauen. Da ist es durchaus möglich dass trotz mehr Höhenmeter und Kilometer der Schnitt ansteigt.

Auf jeden Fall hat das Doping die letzten Jahrzehnte mit beeinflusst. Doping kannte man schon sehr früh, das wissen wir alle, klar ist aber auch dass nicht nur beim Material, der Sporternährung und der Trainingsmethodik grosse Schritte gemacht wurden, sondern eben auch beim Doping. Während rund 1,5 bis 2 Jahrzehnten war vermutlich fast das gesammte Fahrerfeld mehr oder weniger gedopt. Nur vereinzelte Fahrer versuchten es auf saubere Weise. Einige, die sich als Nachwuchtalente erwiesen, traten kurz nach Eintritt in die Profikarriere zurück, weil Sie das System erkannten, jedoch so nicht akzeptieren wollten. In der Zeit war Doping ein Kavaliersdelikt, denn jeder Sportler (egal ob Radsport oder andere Sportarten) wusste das gewisse Präparate nicht getestet werden konnten. Viele wussten von anderen die sich unerlaubter Mittel bedienten. Mediziner und Mittelsmänner warfen zusätzlich mit Namen um sich, erzählten potenziellen Neukunden wer bei ihnen alles "Material" bezieht.

Es gab sie aber auch damals schon, die sauberen Fahrer und sie konnten auch grosse Leistung bringen, nur eben nicht so oft wie viele der anderen Athleten. Sie nahmen an weniger Wettkämpfen teil, investierten deutlich mehr in das perfekte Training und machten so einen Teil des Nachteils wett.

In den 90er Jahren sorgte der Festina-Skandal und einige andere Fälle für das erste grosse Aufhorchen. Das zeigte bereits Wirkung. Einige Radprofis versuchten es danach mit geringerem Erfolg auf legale Weise, der grösste Teil aber suchte zusammen mit ihren Medizienern oder der Teamführung nach sicherern Doping-Methoden. Nach und nach häuften sich danach die Dopingskandale, welche in die Fuentes-Affäre gipfelten. Plötzlich war Doping kein Kavaliersdelikt mehr. Nach und nach kamen neue bekannte Einzelfälle, welche viele Sportler zum Nachdenken brachten, dazu.

Leider kann niemand mit Sicherheit sagen wer dopt und wer nicht. Auch teaminternes systematisches Doping ist weiterhin möglich, doch dass dies bei den meisten Teams der Fall ist, bezweifle ich klar. Auch Teamchefs die früher als Rennfahrer intensiv gedopt hatten, müssen heute nicht zwingend Doping unterstützen. Dopingfälle wird es auch künftig immer wieder geben. Aber es hat sich einiges verändert und das ist gut so.

Ich sehe in den letzten Jahren zwei Hauptbereiche die von der Doping-Thematik beeinflusst wurden.

1. der massive Anstieg der Topleistungen in den 90er Jahren, u.a. hervorgerufen durch verbesserte Dopingmethoden.

2. In den letzten 2 Jahren veränderten sich viele Rennen. Sie werden spannender. Überirdisch dominierende Leistungen gibt es seltener. Trotz weiterentwickelter Trainingsmethodik, Material, Sporternährung, etc. sinkt teilweise das Stundenmittel. Fahrer brauchen mehr Rennpausen. Diese Phase wird vom zurückgehenden Dopingebrauch beeinflusst. Viele reduzieren den Einsatz von Doping um das Risiko zu vermindern, und viele oder einige versuchen ihre Leistungen nur noch mit legalen Mitteln zu erreichen.

Ich hoffe die Entwicklung geht so weiter und freue mich auf weitere spannende Rennen, auch wenn der nächste Dopingfall bestimmt nicht lange auf sich warten lässt, was der positiven Entwicklung jedoch keinen abbruch tut.

Viel Spass noch bei der letzten Giro-Woche. Geniesst es und lasst Doping eine Sache zwischen Sportler und Funktionären sein. -Pirasek-

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