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Erlebnisberichte Grand Départ eines Riesenevents: Live dabei beim Tour-Start in Lüttich |
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10.07.2012 | |||||||||||
Grand Départ eines Riesenevents: Live dabei beim Tour-Start in LüttichInfo: BildergalerieInfo: Tour de France - Prolog | TOUR DE FRANCE 2012 Autor: Heike Oberfeuchtner (H.O.) 10.07.2012 - Am heutigen ersten Ruhetag der 99. Tour de France blicken wir noch einmal zurück nach Liège – dorthin, wo vor 10 Tagen alles begann. LiVE-Radsport.com-Mitarbeiterin H.O. war beim Prolog vor Ort mit dabei und hat Euch eine Schilderung ihrer Eindrücke sowie einige Fotos und Videoschnippsel mitgebracht. Mögen sie Euch die Wartezeit bis zur nächsten Etappe verkürzen! Kurz entschlossen zum Prolog nach Lüttich Die Entscheidung, zum Tour-de-France-Start 2012 in Lüttich zu fahren, treffe ich relativ spontan. Zwei Tage vorher wird mir klar, dass man kein Auto braucht, um von meinem Wohnort Aachen nach Lüttich zu gelangen, sondern dass ständig sowohl regionale wie überregionale Züge dorthin verkehren. Also ziehe ich mir das in Colmar bei der Tour 2009 erworbene sonnengelbe Tour-T-shirt an und los geht’s; innerhalb von 20 Minuten bringt der ICE mich nach Liège. Schon am dortigen Bahnhof – der mit seinem mehrschichtigen Dach und seiner lichtdurchfluteten Halle übrigens schöner und futuristischer ist als jeder mir bekannte Bahnhof Deutschlands – machen u. a. ein Torbogen und eine Informationssäule auf den Grand Départ aufmerksam. Eine digitale Uhr zählt den Countdown herunter – ca. 70 Minuten noch, dann geht es los. Hinweisschilder, wie man als Besucher zum Start-/Zielbereich gelangt, fehlen allerdings. In der Tat war es im Vorfeld meine größte Sorge, mich in der Stadt zu verlaufen. Doch es findet sich eine Lösung in Person eines kleinen Jungen im BMC Racing Team-Trikot, der mit seinen Eltern angereist ist und an dessen Fersen ich mich hefte. Bald merke ich, dass noch einige andere Fans in dieselbe Richtung laufen und – tatsächlich, bald stehe ich am Boulevard d’Avroy in der Nähe vom gleichnamigen Park, wo das Village aufgebaut wurde, und wo schon Tausende Radsportbegeisterte aus scheinbar allen Ländern der Welt zusammengeströmt sind und weiterhin zusammenströmen.
Perfekter Blick auf alle Fahrer Noch ist die Strecke an dieser Stelle nicht ganz abgesperrt, sodass Teamfahrzeuge und waschechte Radprofis in nächste Nähe an mir und den anderen Schaulustigen vorbeirollen und fast die Gefahr von Kollisionen besteht. Leider erkenne ich – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – nur einen von ihnen: Fränk Schleck, wie er leibt und fährt. Spätestens jetzt denke ich: „Wow, irgendwie unwirklich, das Ganze.“ Dann „verirre“ ich mich doch noch ein wenig, als ich mich – obwohl ich zum Start will und eigentlich die Streckenkarte zuvor auch ganz genau studiert habe – für die falsche Richtung entscheide und im Zielbereich lande. Ich laufe die Zielgerade bis etwa zur 400 Meter-Marke entlang, aber hier stehen die Menschen schon in Dreierreihen. Deswegen kehre ich um und entdecke ca. 100 Meter hinter der Ziellinie noch ein Plätzchen, wo ich mich direkt vorne ans Sperrgitter stellen kann. Generell ist es hier nicht ganz so voll. Jetzt doch noch zum Starthäuschen zu gehen, wäre ohnehin sinnlos. Und siehe da, mein Standort erweist sich als ein wahrer Geheimtipp, insofern als ich jeden einzelnen Fahrer gut sehen kann, und zwar im „Ausrollen“, zu einem Zeitpunkt, da die Geschwindigkeit nicht mehr ganz so hoch ist. Allerdings noch immer hoch genug, dass ich Schwierigkeiten habe, den rechten Augenblick fürs Auslösen meiner Fotokamera zu finden und mich nach etwa einem Drittel des Rennens auf das Erstellen von klitzekleinen Videofilmchen verlege.
Die Lieblinge der Belgier und anderer Zuschauer Zwar ist es heute sehr heiß, aber ein merkbarer Wind und die Tatsache, dass sich die Sonne immer mal wieder hinter Wölkchen zurückzieht, macht diesen Sommertag für Fahrer und Zuschauer angenehm. Die erste Superzeit fährt Andriy Grivko – und er hält die Bestmarke eine gefühlte Ewigkeit. Dann stößt mein Liebling Edvald Boasson Hagen den Ukrainer vom Thron. Doch ich kann mich nicht lange freuen, schon macht sich Sylvain Chavanel selbst ein Geburtstagsgeschenk und fährt eine neue Spitzenzeit heraus. Erst Bradley Wiggins und wenig später Fabian Cancellera werden den französischen Meister von Platz eins verdrängen. Auch Philippe Gilbert schneidet im Kampf gegen die Uhr überraschend gut ab – die einheimischen Zuschauer flippen fast aus, als gemeldet wird, dass er an der Zwischenzeit nur zwei Sekunden hinter Chava liegt. Überhaupt ist Gilbert immer noch der Liebling der Massen – er und Maxime Monfort bekommen den hingebungsvollsten Applaus und die lautesten Anfeuerungsrufe. Vergessen wir nicht, wir sind in der Wallonie! Aber die Belgier äußern auch ehrliches Mitgefühl, als uns der Streckensprecher über das Defektpech Tony Martins unterrichtet – und sie bejubeln Cancellaras beeindruckenden Sieg. Apropos Lieblinge: Es gibt viele Fans (mehr als früher, kommt mir vor), die sich zu ihren persönlichen Favoriten bekennen - ich sehe z. B. große Fahnen mit den Gesichtern der Schleck-Brüder oder riesige Transparente mit Gilberts Namen oder T-Shirts mit der Aufschrift „Steven Kruiswijk-Fanclub“.
Der dreifach geehrte Cancellara Je näher die heiße Phase des Prologs rückt, desto mehr Leute strömen auch auf mein Plätzchen an der Absperrung zu und wollen sich hineindrängen, was mich ärgert, da ich mir hier immerhin vier Stunden die Füße platt gestanden habe. Es wird immer schwieriger, die hereinkommenden Superstars per Video einzufangen. Ein Mann neben mir mit Profi-Fotoausrüstung treibt mich mit seinem Elefantenrüssel-langen Teleobjektiv zur Verzweiflung. Aber ich bekomme natürlich trotzdem alles mit – wie sich Spannung bis zur Ankunft von Cancellara und Titelverteidiger Evans immer mehr steigert, ist praktisch mit Händen zu greifen. Als der Prolog beendet ist, stürzt alles zur Siegerehrung. Und obwohl ich fast in unmittelbarer Nähe zur Tribüne stand, komme ich zu spät, gehe in einem Pulk dichtgedrängter Schaulustiger praktisch unter. Männer, die ohnehin größer sind als ich, recken sich, bis ich fast gar nichts mehr sehen kann und halten ihre Kameras über die Köpfe. Für mich selber ist an fotografieren oder filmen nicht zu denken, ich wage ja kaum zu atmen. Aber ab und zu erhasche auch ich einen Blick auf „Cance“, dem ich die Wiederholung seines Lüttich-Erfolgs von 2004 von Herzen gönne. Dreimal darf der Schweizer auf die Bühne – als Etappensieger, als Träger des Gelben und als Träger des Grünen Trikots. Das Bergtrikot, das an diesem Tag natürlich noch nicht vergeben wird, überreicht man zum Scherz dem Ehrengast Bernard Hinault, dessen Rekord von fünf Auftaktsiegen Cancellara soeben egalisiert hat. Dann kommt noch der Viertplatzierte Tejay van Garderen, der beste Jungprofi, der mit dem Stofftier-Yeti winkt – einem besonders kultigen Maskottchen, wie ich finde.
Wie die Zeit vergeht... Unter den Klängen der von mir heiß und innig geliebten Tour-de-France-Hymne löst sich die ganze Menschenansammlung vor der Tribüne innerhalb von 10 Minuten auf. Ich laufe jetzt tatsächlich noch zum Start-Bereich hinüber, um vielleicht ein Foto machen zu können – doch dort ist bereits alles abgebaut worden. Stattdessen kaufe ich mir in der „Boutique officielle“ noch ein Souvenir – einen hübschen Schlüsselanhänger, an dem Miniaturen aller Sondertrikots und das Tour-Logo baumeln – und bin entsetzt, als mir der Verkäufer am Stand auf Englisch antwortet, obwohl ich doch soeben sämtliche Reste meines Französisch zusammengekratzt habe. Noch mehr stören mich aber die Müllhaufen von Plastikflaschen und Verpackungsmaterial, die sich am Rande der Strecke angesammelt haben. Und dass wo sich die Radsportgemeinde in Abgrenzung etwa zur Fußballgemeinde doch immer ihre guten Sitten auf die Fahnen schreibt! Irgendwie wundert es mich nicht, als ich später erfahre, dass Glassplitter die Ursache von Martins Plattfuß waren. Inmitten zahlreicher Fans mache ich mich schließlich auf den Weg zum Bahnhof, der sicherlich noch bis in den Abend hinein hoch frequentiert sein wird. Dort zeigt mir die digitale „Count-up“-Uhr, dass die Tour de France 2012 – dieses Mega-Mega-Event, das ich soeben besucht habe – schon wieder vier Stunden und 21 Minuten alt ist.
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10.07.2012 | |||||||||||
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