Info: BAHNRADSPORT-WELTMEISTERSCHAFT 2019 IN PRUSZKÓW Autor: Felix Griep (Werfel)
Pruszków, 01.03.2019 – Fünf Entscheidungen fielen am Freitag in Pruszków, so viele wie an keinem anderen Tag der Bahn-Weltmeisterschaft. Zweimal schlugen die Niederlande zu und verdrängten mit nunmehr vier goldenen und drei silbernen Medaillen Australien von der Spitze des Medaillenspiegels: Jan-Willem van Schip triumphierte in einem denkwürdigen Punkterennen und Kirsten Wild verteidigte ihren Omnium-Titel. Für Aufsehen sorgte der Italiener Filippo Ganna, der bei seiner Titelverteidigung in der Einzelverfolgung zwei absolute Fabelzeiten hinlegte und seinem deutschen Finalgegner Domenic Weinstein keine Chance ließ. Im 1000 Meter Zeitfahren siegte der Franzose Quentin Lafargue und im Sprint der Frauen setzte sich Wai Sze Lee gegen Stephanie Morton durch.
Bahn-WM 2019: Übersicht | Medaillenspiegel | Zeitplan
Punkterennen Männer
❶ Van Schip ❷ Mora ❸ Downey
Van Schip hätte auch mit zwei statt drei Rundengewinnen gesiegt
Punkterennen gehören ohnehin zu den unterhaltsamsten Disziplinen im Bahn-Radsport, was aber die Männer am Freitagabend boten, war wahrlich außergewöhnlich. Sage und schreibe 36 Rundengewinne wurden herausgefahren – zum Vergleich: 2018 waren es 16 Rundengewinne gewesen, in den drei Jahren davor jeweils überhaupt nur fünf. Alles begann nach 41 von 160 Runden mit den ersten Rundengewinnen für den Belgier Kenny De Ketele und den Niederländer Jan-Willem van Schip. Nur wenig später, nach 67 Runden, erzielten dann der Weißrusse Raman Ramanau und der Spanier Sebastian Mora bereits ihren jeweils zweiten Rundengewinn. Während immer mehr Fahrer das Feld ein zweites Mal umrundeten, blieb Van Schip lange bei seinem einen Rundengewinn und führte das Rennen trotzdem an. Der 24-Jährige hatte allein mit senen Siegen an den Sprintwertungen Nummer zwei bis fünf 20 Punkte (das Äquivalent eines Rundengewinns) gesammelt und punktete auch danach fleißig weiter.
35 Runden vor Schluss lag der Niederländer mit 51 Punkten auf Rang eins und hatte maximal vier Zähler Vorsprung auf die nächsten fünf Fahrer. Im Finale eskalierte das Geschehen noch einmal richtig und es hagelte etliche weitere Rundengewinne. Van Schip fuhr seinen zweiten 19 Runden vor dem Ende ein und schaffte zwei Runden vor Schluss, wieder gemeinsam mit De Ketele, sogar noch einen dritten, den er für den Sieg aber gar nicht gebraucht hätte. Mit 104 Punkten liegt der Vorjahreszweite im Endklassement 28 Zähler vor dem Zweitplatzierten Mora. Bronze ging an den Iren Mark Downey, der den punktgleichen Polen Wojciech Pszczolarski durch die bessere Platzierung im Zielsprint hinter sich ließ. Auch diese beiden und Mora hatten drei Rundengewinne erzielt, aber viel weniger Sprintpunkte eingefahren als Van Schip.
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1000 Meter Zeitfahren Männer
❶ Lafargue ❷ Bos ❸ D'Almeida
Frankreich findet Nachfolger für Pervis – Bos fast wie vor 14 Jahren
Die erfolgreichsten Spezialisten der letzten Jahren fehlten im 1000 Meter Zeitfahren von Pruszków. Der viermalige Titelträger François Pervis war gar nicht erst für die WM nominiert worden und Titelverteidiger Jeffrey Hoogland entschied sich in diesem Jahr nur für Starts in Teamsprint und Sprint. Joachim Eilers, der Weltmeister von 2016, verzichtete kurzfristig auf seine Teilnahme und wurde durch Marc Jurczyk ersetzt, der es als Sechstplatzierter der Qualifikation in das Finale der besten Acht schaffte und dort schließlich Platz acht belegte. Der zweite deutsche Starter Eric Engler qualifizierte sich als Quali-Zwölfter nicht für den zweiten Durchgang.
Zum neuen Weltmeister krönte sich ein Landsmann des Franzosen Pervis: Quentin Lafargue, der im Zeitfahren zuvor schon Bronze (2016) und Silber (2017) gewonnen hatte. Die Qualifikation gewann er mit der einzigen Zeit des Tages unter einer Minute (59,845 Sekunden) und im Finale reichte 1:00,029 Minute ebenfalls für Platz eins. Michaël D'Almeida (1:00,826) holte als Dritter eine weitere Medaille für Frankreich. Zwischen ihnen landete auf dem zweiten Rang der Niederländer Theo Bos (1:00,388), der 2005 in Los Angeles Weltmeister im 1000 Meter Zeitfahren geworden war und 14(!) Jahre später fast noch einmal Gold geholt hätte.
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Einzelverfolgung Männer
❶ Ganna ❷ Weinstein ❸ Plebani
Ganna zweimal fast mit Weltrekord, Weinstein ebenfalls unter 4:10
Erst ab dem Jahr 2017 wandte sich der heute 28-jährige Ashton Lambie ernsthaft dem Bahnradsport zu und konnte doch am 31. August 2018 für großes Aufsehen sorgen. Bei der Panamerikameisterschaft in Aguascalientes knackte er in der Einzelverfolgung nicht nur einfach den sieben Jahre alten Rekord von Jack Bobridge (4:10,534) sondern unterbot ihn in 4:07,251 Minuten deutlich. Letztes Jahr hatte der US-Amerikaner aus Nebraska auch erstmals an einer Weltmeisterschaft teilgenommen und in Apeldoorn in 4:17,600 Minuten Platz sieben belegt. In Pruszków verbesserte er sich diesmal auf 4:12,886 Minuten, verpasste als Fünfter aber um knapp eine Sekunde den Einzug in die Finalrunde. Und zu allem Überfluss geriet auch noch seine Rekordmarke in ernsthafte Gefahr.
Der Italiener Filippo Ganna, der trotz seiner erst 22 Jahre schon zwei Weltmeistertitel (2016, 2018) und eine Silbermedaille (2017) erreicht hatte, gewann die Qualifikation in einer fabelhaften Zeit von 4:07,456 Minuten – die frühere Bestmarke Bobridges unterbot er um mehr als drei Sekunden und zu Lambies Weltrekord fehlten gerade einmal 0,205 Sekunden! Da konnte die Leistung von Domenic Weinstein fast untergehen, der in 4:09,091 Minuten ebenfalls unter der früheren Bestmarke blieb und seinen bisherigen deutschen Rekord um vier Sekunden verbesserte. Die weiteren deutschen Starter Leon Rohde und Felix Groß belegten in der Qualifikation die Plätze zehn und elf, die Schweizer Claudio Imhof und Stefan Bissegger wurden Achter und Neunter. Im Finale sicherte sich Ganna mit erneut starken 4:07,992 Minuten seinen dritten Titel in vier Jahren, Weinstein bekam mit 4:12,571 Minuten zum zweiten Mal nach 2016 Silber. Bronze ging an Gannas Landsmann Davide Plebani, der das Duell um Platz drei gegen den Russen Alexander Evtushenko gewann.
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Omnium Frauen
❶ Wild ❷ Paternoster ❸ Valente
Knappe Titelverteidigung für Wild, noch knappere Entscheidung um Bronze
In Polen läuft es dieser Tage für Kirsten Wild sicherlich alles andere als schlecht, aber sie ist auch nicht ganz so dominant wie 2018 in Apeldoorn, als sie drei WM-Titel abgeräumt hatte. Die Titelverteidigung im Scratch war ihr am Mittwoch nicht geglückt, es hatte nur zu Silber gereicht. Und auch im Omnium stand die Niederländerin anders als im vorigen Jahr nicht an der Spitze – zumindest nach den ersten drei der vier Disziplinen. Platz vier im Scratch, sechs in den Temporunden und zwei im Ausscheidungsfahren hatten ihr 102 Punkte eingebracht. Auf zwei Zähler mehr kam die Italienerin Letizia Paternoster, die mit ihren 19 Jahren fast halb so alt ist wie die 36-jährige Wild. Das Generationen-Duell blieb auch im abschließenden Punkterennen spannend: erst baute Paternoster den Vorsprung auf vier Punkte aus, dann drehte Wild den Spieß um und ging mit zwei Punkten in Führung, bevor Paternoster wieder ausgleichen konnte. Entscheidend war dann letztlich der vorletzte Sprint, an dem Wild Zweite und Paternoster Vierte wurde. So setzte sich die Vorjahressiegerin am Ende mit 117 zu 115 Punkte gegen ihre junge Herausfordererin durch.
Noch ereignisreicher war der Kampf um die Bronzemedaille, den letztendlich die US-Amerikanerin Jennifer Valente (106 Punkte) vor der Japanerin Yumi Kajihara (106), der Australierin Annette Edmondson (101) und der Dänin Amalie Dideriksen (100) für sich entschied. Edmondson hatte sich erst durch einen Rundengewinn kurz vor Halbzeit des Punkterennens in diesen Kampf mit eingemischt. Lange Zeit hatte Kajihara leicht die Nase vorn, doch durch eine gemeinsame Flucht von Dideriksen und Valente auf den letzten Runden verlor sie Bronze noch. Valente, die 50 Runden vor Schluss zusammen mit der Ex-Weltmeisterin Katie Archibald gestürzt war, sich aber schnell wieder berappelt hatte, holte als Zweitplatzierte der Schlusswertung genau jene sechs Punkte, die sie brauchte, um mit Kajihara gleichzuziehen.
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Sprint Frauen
❶ Lee ❷ Morton ❸ Gros
Wai Sze Lee tritt Nachfolge von Vogel an, wieder nur Silber für Morton
Erfahrung schlägt Jugend – das war nicht nur im Omnium der Fall, sondern auch in den Sprint-Halbfinals der Frauen. Die beiden 19-jährigen Lea Sophie Friedrich und Mathilde Gros, die in der Qualifikation und den K.-o.-Runden am Donnerstag bewiesen hatten, dass ihnen die Zukunft gehören kann, waren in ihren jeweiligen Duellen gegen die 28-jährige Stephanie Morton (Friedrich) und die 31-jährige Wai Sze Lee (Gros) klar unterlegen. Relativ eindeutig verlief dann auch der direkte Zweikampf der beiden Nachwuchshoffnungen um die Bronzemedaille: Gros setzte sich in zwei Läufen gegen Friedrich durch und besorgte nach Gold und Bronze im Zeitfahren der Männer die dritte Medaille des Abends für Frankreich.
Die Entscheidung um Gold zwischen Lee und Morton verlief genauso wie die beiden Aufeinandertreffen der beiden derzeit wohl unbestritten besten Sprinterinnen der Welt in dieser Weltcup-Saison. Wie im Finale von Saint-Quentin-en-Yvelines und im Halbfinale von Milton behielt die Frau aus Hongkong die Oberhand. Lee, die bei den Weltmeisterschaften 2013 und 2017 jeweils Sprint-Bronze geholt und 2013 das 500 Meter Zeitfahren gewonnen hatte, setzte sich in beiden Läufen knapp und dennoch ungefährdet gegen Morton durch, die also wie in den vorherigen beiden Jahren hinter Kristina Vogel erneut mit Silber vorliebnehmen musste.
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Bei den Frauen stehen am Samstag in Pruszków 500 Meter Zeitfahren, Einzelverfolgung und Madison auf dem Programm. Bei den Männern fällt nur die Entscheidung im Omnium, während es am ersten Wettkampftag im Sprint bis zum Viertelfinale geht.
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