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Live in die Vergangenheit –Sixdays-Geschichten (8)
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18.01.2008

Live in die Vergangenheit –Sixdays-Geschichten (8)

Info: Bildergalerie
Info: 100. Berliner 6 Tage Rennen | Veranstalter
Autor: Adriano Coco




Sixdays Geschichten (8)
Alfred Kutza und Lothar Ehmer (im Foto, v. r.) hatten viel vor bei den 38. Berliner Sixdays. Doch das Rennen im März 1953 war schon nach knapp 31 Stunden vorbei. Was war da los, Herr Kutza? fragte Live-Radsport.ch den heute 82jährigen Berliner.


Kutza: Die Kasse war leer. Nicht mal eine „Puseratze“ mehr drin. Ein Lautsprecherwagen fuhr durch Berlin und verkündete: „Sechstagerennen unterm Funkturm abgebrochen!“

Sie galten als Favoritenschreck, was hatten sie vor?

Kutza: Wir wollten den Assen Gustav „Gussy“ Kilian, Hans Preiskeit und den Publikumslieblingen Roth/Bucher aus der Schweiz mal so richtig in die Suppe spucken.

Wie sollte das klappen, es war erst Ihr zweiter Sixdaysstart?

Kutza: Ich hatte seit Wochen hart trainiert. Tausende Kilometer auf der Havelchaussee im Berliner Grunewald runtergeschrubbt. Runde um Runde, egal ob es regnete oder schneite. Ich war in Topform.

Wann erfuhren Sie von der drohenden Pleite?

Kutza:
Ich wunderte mich schon über die geringe Reklame für das Rennen. Dann hieß es sogar, der Profiverband habe das Rennen verboten.

Warum das?

Kutza: Weil der Berliner Veranstalter und Nachtclub-Besitzer Arthur Kaiser, die Sicherheitsgarantie von 20 000 Mark für die Fahrergage nicht aufbringen konnte.

Hatte der Mann denn keine Ahnung vom Sixdays-Geschäft?

Kutza: Im Gegenteil. Vor drei Monaten hatte er mit dem 100. Deutschen Sechstagerennen in der Funkturm-Halle damals einen glänzenden sportlichen und finanziellen Erfolg hingelegt. Insidern war Kaisers Pleite völlig unerklärlich.

Dennoch war Kaiser pleite?

Kutza: Man sprach von 150 000 Mark Schulden. Die sollen entstanden sein durch unbezahlte Rechnungen für Hallenmiete, Licht, Heizung, Kapelle und Ordner bei dem deutschen Jubiläumsrennen.

Hatte er das Geld privat bei Seite geschafft?

Kutza: Gemunkelt wurde, er habe die gesamte Summe in seine bankrotte „Janika-Nachtbar“ gesteckt.

Trotzdem haben Sie sich weiter ernsthaft auf die 38. Berliner Sixdays vorbereitet?

Kutza: Ich wollte schließlich als Profi Geld verdienen.

Lohnte sich das 1953?

Kutza:
Klar, meine Gage betrug schon 400 Mark die Nacht. Doch Sixdaysstars, wie „Gussy“ Kilian, Carrara, Strom, Arnold bekamen 1500 bis 2000 Mark. Da wollte ich hin.

Wie ging’s dann weiter?


Kutza: Am Startabend, einem Freitag, war in der Halle die Hölle los. Die 4200 Zuschauer tobten vor Wut, als das Rennen nun vom Bund Deutscher Radfahrer tatsächlich wegen fehlender Gagenkaution endgültig abgesagt wurde.

Und dennoch wurde gestartet?

Kutza: In das Tohuwabohu „flatterte“ plötzlich ein Telegramm in die Halle, in dem der Bund Deutscher Radfahrer „grünes Licht“ für den Start gab.

War das Telegramm echt?

Kutza:
30 Minuten nach dem Start musste der technische Leiter Paul Buschenhagen auf Drängen der Presse zu geben, dass es gefälscht war.

Aber warum fuhren Sie dann noch 30 und eine halbe Stunde weiter?

Kutza:
Nur die gewieften Schweizer Jean Roth/Walter Bucher und der Deutsche Ludwig Hörmann verließen die Bahn, wollten nicht bei einem illegalen Rennen weiter fahren.

Und die anderen?


Kutza: Elf Teams beschlossen in eigener Regie zu fahren.

Ist das Publikum denn nicht nach Hause gegangen?

Kutza: Nein. Und obwohl wir aus Spargründen nur bei funzeliger Trainingsbeleuchtung fuhren, minderte das die glänzende Publikumsstimmung keineswegs.

Und wie wollten Sie an Ihre Gage kommen?


Kutza: Alle bangten natürlich um ihr Geld. Die Kampfeslaune im Feld war nicht die beste. Darum beschlossen wir, uns an der Kasse solange selbst zu bedienen, bis unsere Gagen drin waren. Erst danach sollten Halle, Musik, Licht und andere bezahlt werden.

Wie wurde das organisiert?

Kutza:
Der Vertrauensmann unter uns Profis ging abends abkassieren. Erst wenn er mit den Scheinen winkte, zogen wird das Tempo an. Übrigens, Jagden von über zwei, drei Stunden waren in diesen Jahren keine Seltenheit. Das Tempo lag auch schon knapp über 50 km/h.

Es lief also planmäßig?

Kutza: Denkste Puppe. In der zweiten Nacht, am Sonnabend, winkte keiner mehr. Die damals beliebte Sixdays-Kappelle „Otto Kermbach“ war schneller als die Rennfaher. In der Kasse fand sich nur eine Quittung der Musiker über 600 Mark.

Und?

Kutza: Da hatten wir die Schnauze voll, gingen nach Hause. Nach 730 Kilometern war die Pleite perfekt. Das waren dann auch die letzten Sixdays auf der 153-Meter-Funkturmbahn.

Auf welchem Platz lagen Sie beim Abbruch?


Kutza: Ehmer und ich waren achte oder neunte, so genau weiß ich das heute nicht mehr. Und wenn ich mich recht erinnere, lagen bei Abbruch an der Spitze Surbatis/Bouvard.

Hatte das Rennen in eigener Regie Folgen?


Kutza noch heute stinksauer:
Für uns Rennfahrer ging der Ärger erst richtig los. Wegen Teilnahme an einem illegalen Rennen – der Wettfahrausschuss war nicht vom BDR - kriegten wir eine halbjährige Sperre aufgebrummt. Für mich stand damit die Existenz auf dem Spiel.

Blieben Sie Profi?


Kutza: Bis 1956. Bei der Deutschlandrundfahrt schaffte ich einmal den siebten, einmal den achten Platz. Bei der deutschen Straßenmeisterschaft 1956 in Speyer wurde ich Sechster.

Ihre größten Erfolge?

Kutza: Sieger bei Berlin-Cottbus-Berlin 1949 als Amateur, Erster der Deutschen Straßenfahrer-Bestenliste 1949, punktgleich mit dem Berliner Hanne Schliebener und der Deutsche Meistertitel im Zweiermannschaftsfahren 1950 mit Erich „Ete“ Zawadzki.

Was haben Sie nach der Profikarriere gemacht?

Kutza:
Ich wurde Fahrlehrer, hatte viele Jahre eine Fahrschule in Berlin Moabit.

Sind sie sportlich aktiv geblieben?

Kutza: Klar. Aber meine große Liebe nach der aktiven Zeit gehörte bis vor einigen Jahren dem sportlichen Höhenwandern. Matterhorn, Eiger Nordwand und viele, viele Gipfel in vielen, vielen Ländern waren meine neuen Ziele. Mit einer Reckstange zwischen den Zimmertürpfosten habe ich mich mit Klimmzügen fit gehalten.

Und Radfahren?

Kutza: Erst vor kurzem habe ich schweren Herzens mein Rennrad verkauft. Mit fast 83 hat der Gleichgewichtssinn nachgelassen. Ich habe Angst zu stürzen, wenn die Autos bei meinen Ausfahrten auf der Havelchaussee im Grunewald so dicht an mir vorbeirauschen. Aber auf der Holzbahn im Veldrom drehe ich immer noch gerne ab und zu Runden mit dem Bahnrad. Im Berliner Grunewald bin ich jetzt oft mit meinem Mountainbike querfeldein unterwegs.

Live in die Vergangenheit wird fortgesetzt in losen Folgen (copyright Adriano Coco, Veröffentlichung honorarpflichtig)
Tickets für das 100. Berliner Sechstagerennen (27.01. - 01.02.2011):

oder
Tel: 049 30 - 44 30 44 30
Fax: 049 30 - 44 30 44 39

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Alfred Kutza und Lothar Ehmer beim hundertsten Deutsche Sixda Alfred Kutza privat Repro Adriano Cocoys Berlin 1952 Foto
Alfred Kutza (unten) und Lothar Ehmer beim 100. Deutschen und gleichzeitig 37. Berliner Sechstagerennen 1952 in der Sporthalle unter dem Funkturm. Die Berliner waren auch bei den 38. Berliner Sixdays 1953 dabei, die nach 31 Stunden wegen Ebbe in der Kasse abgebrochen wurden.Foto: Alfred Kutza privat, Repro: Adriano Coco



Alfred Kutza mit 82 Jahren im Berliner Velordrom Foto Alfred Kutza privat Repro Adriano Coco
Auch mit 82 Jahren düst Alfred Kutza noch über das Steilparkett im neuen Berliner Velodrom in der Landsberger Allee im Bezirk Prenzlauer Berg.Foto: Alfred Kutza privat, Repro: Adriano Coco


Alfred Kutza mit Rennrad in Berlin Moabit Foto Adriano Coco 1999
Alfred Kutza tritt hinter seinem Haus in der Birkenstraße in Berlin Moabit in die Pedale. Unlängst hat er das Rennrad verkauft. Jetzt fährt er mit dem Mountainbike durch Berlin. Foto: Adriano Coco 1999





Alfred Kutza 1952 und als Pensionaer Foto Alfred Kutza privat und Adriano Coco
Alfred Kutza jung und junggeblieben. 1952 beim 37. Berliner Sechstagerennen, heute als pensionierter Fahrlehrer. Foto Adriano Coco








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