|
|||||||||||||||||||||
Start >
Erlebnisberichte Erlebnisbericht: Eine Woche mit der Tour durch Alpen und Provence – Verbier, Colombière und Mont Ventoux |
|||||||||||||||||||||
29.06.2010 | |||||||||||||||||||||
Erlebnisbericht: Eine Woche mit der Tour durch Alpen und Provence – Verbier, Colombière und Mont VentouxInfo: TOUR DE FRANCE 2009 | Weitere ErlebnisberichteAutor: Leon Senner (Le0n) Erlebnisbericht von 2008 Donnerstag, 16. Juli Am Donnerstag, den 16. Juli, beginnt unsere Fahrt von Hamburg aus in Richtung Süden, in Richtung Tour de France! Wie letztes Jahr fahren wir mit dem Auto los, diesmal aber mit einem wichtigen Unterschied: Die Rennräder (zwei Red Bulls) sind dabei. Dieses Jahr haben mein Vater und ich uns vorgenommen, die Berge, an denen wir an der Strecke stehen werden, auch selbst zu befahren, allerdings sind wir noch nie Anstiege dieser Dimension gefahren, können uns also auch nicht vorstellen, ob wir es überhaupt schaffen können. Mit einem voll bepackten Auto geht es dann erst mal nach Freiburg. Auf der Fahrt schaue ich übers Handy zwischenzeitlich kurz in den LiVE-Radsport-Liveticker. Unter anderem befinden sich also Markus Fothen, Rémi Pauriol und Egoi Martinez in der Ausreißergruppe, drei Fahrer die mir sehr sympathisch sind. Gegen Abend kommen wir in Freiburg an, wo wir in einem Hotel übernachten, morgen ist es dann ja auch nicht mehr weit bis Martigny. Nach dem Essen freue ich mich schon darauf, die letzte Stunde der Etappe auf Eurosport zu schauen, leider hat der Fernseher im Hotelzimmer nur sieben Kanäle und kein Eurosport. Also ruf ich meine Schwester an, die mir erzählt, dass Nicki Sörensen die Etappe gewann, Fothen das Podium leider knapp verfehlte. Freitag, 17. Juli Nach dem Frühstück machen wir uns gegen 10 Uhr auf, zunächst geht es über die Schweizer Grenze, nach einiger Zeit sieht man auf den Straßenschildern auch Interlaken, wobei ich natürlich an Werfel denken muss. Durch die Schweiz geht es recht zügig hindurch, wir geraten in keinen Stau und finden bald schon zu unserer Rechten den Genfer See. Nun ist es nicht mehr weit bis Martigny, wo wir drei Tage übernachten wollen: von Freitag auf Samstag, von Samstag auf Sonntag – der Tag, an dem die Bergankunft hinauf nach Verbier ansteht, dessen Fuß Martigny darstellt - und von Sonntag auf Montag, der Tag an dem der Ruhetag in Martigny ansteht, eine gute Gelegenheit, um Autogramme zu bekommen und Fotos mit den Fahrern zu machen. Am Nachmittag erreichen wir Martigny, ein kleiner Ort, in dem wir auch gleich unser Hotel finden. Zwar waren mein Vater und ich letztes Jahr und 2006 bei der Tour zelten, allerdings waren wir dieses Jahr mehr als eine Woche mit der Tour unterwegs, außerdem fuhr dieses Jahr auch meine Mutter mit, die nicht so gerne die ganze Woche zelten wollte. Also hatten wir kurz vor Ferienbeginn geschaut, ob es noch etwas in Martigny gibt. Eigentlich war jedes Hotel im Umkreis von 30 Kilometern belegt, auf einmal wurde aber noch ein günstiges Zimmer frei, welches wir natürlich nahmen, wahrscheinlich hatte irgendwer glücklicherweise kurzfristig storniert. Also beziehen wir quasi das letzte freie Hotelzimmer in der Region. Einige Plakate weisen schon auf die Tour hin, ansonsten spürt man noch keine allzu große Tour-Euphorie in der Stadt. Im Zimmer geht es sofort vor den Fernseher, um die Tour-Etappe zu schauen. Hier gibt es nun glücklicherweise drei Tour-Programme, ich entscheide mich für das französische Eurosport, einen deutschsprachigen Sender gibt es in der französischen Schweiz eh nicht. Es stand ja die bergige Vogesen-Etappe auf dem Programm, toll wie Haussler auf der Abfahrt Chavanel distanziert, niemanden mehr an sich herankommen lässt und seinen ersten Tour-Etappensieg feiern kann. Schön aber auch, dass mit Txurruka und Brice Feillu noch zwei weitere sympathische Fahrer die Plätze zwei und drei belegen. Kurz nachdem die Etappe zu Ende ist, beginnt es in Martigny in Strömen zu regnen, was auch den ganzen Abend und die Nacht über so bleibt. Samstag, 18. Juli Auch als wir aufstehen, regnet es noch. Beim Hotel im Frühstück sehen wir Elke Heidenreich, ein lustiger Zufall, dass man sie hier beim Frühstück im gleichen Hotel sieht. Nach dem Frühstück wollen wir schon mal den ganzen Weg von Martigny bis zum Zielort, Verbier, zunächst mit dem Auto, abfahren. Die ersten etwa 18 Kilometer sind nur leicht ansteigend, bevor es dann in den eigentlichen Anstieg geht. Viele Radfahrer fahren jetzt schon auf der Straße, wo morgen die Profis entlangfahren, am Straßenrand stehen schon überall Wohnmobile, Autos und Zelte, man spürt wieder diese unbeschreibliche Tour-Atmosphäre. Der Anstieg ist wirklich durchgehend recht steil, leider regnet es weiterhin ziemlich stark. Wir fahren hoch bis in den Skiort Verbier, wo auf den Straßen ziemlich viel los ist. Dann fahren wir wieder runter bis etwa 3 Kilometer vor Verbier, um heute schon mal die Straße zu bepinseln. Leider ist das im Regen kaum möglich, die „Gerdemann“- und „Ciolek“-Schriftzüge verwischen bereits nach einigen Minuten. Da es keinen Sinn hat, fahren wir wieder zurück nach Martigny, wo erstmal die Tour-Etappe geschaut wird. Leider gewinnt ja Serguei Ivanov, immerhin wird der Neuseeländer Roulston noch Dritter. Danach der waghalsige Sprint des Feldes, in dem Cavendish Hushovd abdrängt, von der Disqualifikation erfahre ich aber erst später. Da das Wetter plötzlich umschlägt, alle Wolken sich verziehen und die Sonne scheint, entschließen sich mein Vater und ich schon mal die Stecke von Martigny bis nach Villette-le-Châble abzufahren, also die circa 18 Kilometer, die nur leicht ansteigend sind, da wir uns ja für den morgigen Tag schonen wollen. Noch fahren leider sehr viele Autos in Richtung Verbier, dafür ist auf dem Rückweg unsere Spur frei. Die Beine sind ganz gut, wobei man das bei einer so kurzen Ausfahrt kaum beurteilen kann. Nachdem wir wieder in Martigny angekommen sind, frage ich den Rezeptionist, ob er denn weiß, in welchen Hotels die Fahrer am Ruhetag am Montag untergebracht sind. Er kopiert mir einen Zeitungsausschnitt, in dem drinsteht, welche Mannschaften wo anzutreffen sind, nur neun Teams verbringen den Ruhetag in Martigny, die anderen sind zum Teil oben in Verbier oder in benachbarten Orten. In unserem Hotel wird leider keine Mannschaft sein, dafür aber direkt um die Ecke im Hotel/Motel des Sports die Mannschaften Fdjeux und Euskaltel – zwei meiner Lieblingsteams, außerdem in der Nähe auch Agritubel, Quick Step und BBox, etwas weiter weg, aber auch noch in Martigny, im etwas nobleren Hotel du Parc die Teams Cervélo, Silence-Lotto, Rabobank und Cofidis. Gespannt und voller Vorfreude auf den morgigen Tag gehe ich dann recht früh schlafen, das Wetter ist wieder gut, der große Tag kann kommen. Sonntag, 19. Juli Der Tag der 15. Etappe! Wir stehen gegen 9 Uhr auf und machen uns nach dem Essen langsam aber sicher fertig zum Aufbruch. Als ich aus dem Fenster schaue, erkenne ich unten auf der Straße jemand ganz Besonderes: Didi Senft, der Tour-Teufel! Egal zu welcher Tour-Etappe man fährt, irgendwo sieht man ihn immer, so war es ja auch schon letztes Jahr. Er fährt auf einem kleinen Klapprad im Teufel-Design, auch in Richtung Verbier. Wir ziehen uns schnell um, kurz vor dem Urlaub habe ich mir noch ein Milram-Trikot zugelegt. Gegen 11 Uhr fahren wir los, zum ersten Mal mit dem Rad einen Tour-Anstieg abfahren! Langsam starten wir, aus Martigny raus (meine Mutter blieb dort bei der Sprintwertung), mit Hunderten von Radfahrern. Die ersten Kilometer sind wie schon gestern nicht sonderlich anstrengend, doch nach etwa 7 Kilometern will ich ins große Kettenblatt schalten – auf einmal ist die Kette ab. Um sie wieder raufzumachen die Finger natürlich schön mit Fett und Öl beschmiert, aber auch so etwas gehört eben dazu. Nach rund 45 Minuten sind wir wieder in Villette-le-Châble, der eigentliche Fuß des Anstieges. Wir machen noch mal eine kleine Pause, kräftigen uns mit einem Powerriegel und auf geht es in den Tour de France-Anstieg nach Verbier! Verbier geschafft 8,8 steile Kilometer stehen uns bevor, es ist ein wunderschönes Gefühl in so einen Anstieg reinzufahren, mit vielen anderen Radfahrern und abertausenden Fans am Straßenrand. Ich fahre schön langsam los, lasse meinen Vater aber schon mal hinter mir, es muss bei solchen Bergen eben jeder sein Tempo fahren. Unten rein geht es eigentlich ziemlich gut, die ersten 3 Kilometer habe ich bald ohne größere Anstrengung hinter mir, es ist wirklich etwas ganz Besonderes einen Berg mit zig tausenden Zuschauern zu befahren, mehrere Male werde ich mit „Ciolek, Ciolek, Allez“-Rufen angefeuert. Vom Tempo her bin ich etwa im Durchschnitt der Hobbyfahrer, einige fahren an mir vorbei, andere überhole ich wiederum. Auch nach 5 Kilometern geht es noch ziemlich gut, erst dann kommen die ersten Schmerzen in den Beinen. Da es nur noch etwas mehr als drei Kilometer sind, erhöhe ich mein Tempo ein wenig, ich möchte ja schließlich auch fertig oben ankommen. Es ist Wahnsinn, wie viele Fans hier sind, außerdem hat man fast die ganze Zeit einen tollen Blick ins Tal. Ab etwa 2 Kilometer vor dem Ziel sind Absperrgitter am Straßenrand, die Beine beginnen mehr und mehr zu schmerzen, so anstrengend, wie ich es mir vorgestellt hatte, ist es aber nicht. Bei der 1-Kilometer-Marke schalte ich noch mal hoch und erhöhe das Tempo, 700 Meter vor dem Ziel stelle ich mir vor, ich wäre in einem echten Rennen und setze eine Attacke – doch 500 Meter vor dem Ziel stehen mehrere Polizisten und lassen niemanden mehr an sich vorbei. Ich befinde mich in einer großen Traube von Radfahrern, alle glücklich über die Bezwingung des Anstieges, schade nur, dass man nicht ganz hoch und über die Ziellinie fahren konnte. Etwa 35 Minuten habe ich gebraucht. Ich erhole mich erst mal, allerdings war der Anstieg wirklich nicht allzu anstrengend, später werde ich hingegen noch erfahren müssen, dass der Col de la Colombière und der Mont Ventoux zwei ganz andere Kaliber sind. Wie auch immer, nach einer Viertelstunde kommt auch mein Vater, woraufhin wir dann gleich wieder runter – bis etwa 2,5 Kilometer vor dem Ziel, da dort keine Absperrgitter mehr sind – fahren wollen. Leider ist nun auch das Abfahren verboten, so dass wir die zwei Kilometer hinter der Absperrung mit dem Rad runterlaufen müssen, bis wir dann die Absperrgitter hinter uns lassen und einen guten Platz rund zweieinhalb Kilometer vor dem Ziel finden, von dem aus man weit ins Tal und die unteren Spitzkehren des Anstieges sehen kann. Es ist ungefähr halb drei, nun beginnt die lange Wartezeit. Diese verkürzt natürlich die Werbekarawane, ich sammle wieder einiges ein, mittlerweile habe ich diese aber schon so oft erlebt, dass es nichts allzu Besonderes mehr ist. Um uns herum sind viele französischsprachige Schweizer, einer hat ein Radio, um das sich alle scharen. So erfahren wir, dass sich in der Ausreißergruppe unter anderem Cancellara, Astarloza und Fédrigo befinden. Bald funktioniert das Radio allerdings nicht mehr, meine Schwester schreibt mir aber einige SMS über den Rennverlauf. Von unserem Platz aus können wir bis nach Villette-le-Châble runterschauen. Die Spannung wird größer, es dürfte nicht mehr lang dauern, bis man zumindest den Fernsehhubschrauber ein erstes Mal sieht. Und tatsächlich, weit unten kann man den ersten Hubschrauber erspähen, noch ist er ein kleiner Punkt. Zwei weitere Hubschrauber folgen und es scheint, als könnte man auch die ersten Teamfahrzeuge erkennen. Die ersten Fahrer erkennt man winzig klein erst, als sie den Fuß des Anstieges erreichen. Noch sind ein paar Fahrer voraus, kurz darauf ist aber alles zusammen. Nun geraten die Fahrer einige Zeit aus dem Blickfeld. Während wir warten, sieht man unten das Gruppetto am Fuße des Anstiegs. Und wenig später kommt etwa vier Kehren unter uns der erste Fahrer zum Vorschein – es ist Alberto Contador! Keine Überraschung also, die Frage ist nur wer kommt nach ihm? Etwa eine halbe Minute nach Contador kommt Andy Schleck. Die Profis hält das aber nicht davon ab, trotzdem rasend die Abfahrt zu bewältigen, aber die können das Rad eben auch beherrschen. Einer nach dem anderen überholt mich – Ivanov, Freire, Dumoulin. Gerade als mich ein Fdjeux-Fahrer, ich vermute Jérémy Roy, überholt, werden wir von Ordnern angehalten. Tatsächlich kommen noch zwei Fahrer um die Kurve – Yauheni Hutarovich und Steven de Jongh! Auch Roy ist nun mal in der Zuschauerrolle, er und alle Fans feuern seinen Teamkollegen Hutarovich und de Jongh an. Danach geht es weiter, wir sind schon fast unten, als wir wieder zum Anhalten aufgefordert werden. Fast 10 Minuten nach Hutarovich und De Jongh kommt noch ein Fahrer – Kenny van Hummel! Er sieht wirklich gequält aus und kämpft sich den Anstieg hoch, auch er wird von allen frenetisch angefeuert, alle hoffen natürlich, dass er es noch im Zeitlimit schafft. Van Hummel war dann aber wirklich der letzte Fahrer, nach Villette-le-Châble geraten wir zwar in einen großen Auto-Stau – mit dem Rad kann man aber ja glücklicherweise auf der Gegenspur an allen Autos vorbeirasen. Bald kommen wir dann wieder in Martigny an, wo wir nach all den Anstrengungen erst mal ein paar eisgekühlte Colas trinken. Danach hole ich meinen Block und Stift vom Zimmer und beschließe zu schauen, ob die Fahrer in den Hotels schon angekommen sind, und wenn dem so ist, Autogramme zu ergattern. Ich fahre mit dem Rad erst mal zu dem Hotel, dass quasi um die Ecke ist und in dem sich Fdjeux und Euskaltel befinden. Als ich hinkomme, stehen allerdings schon beide Teambusse da, anscheinend sind die Fahrer schon angekommen. Als ich schon gehen möchte, kommt noch ein zweiter Bus von Euskaltel vorgefahren. Auf einmal steigen Mikel Astarloza und zwei weitere Fahrer aus, von allen drei kriege ich ein Autogramm, der Rest war aber wohl wirklich schon vorher gekommen. Kurz darauf kommt aber noch der Manager, Miguel Madariaga, und verteilt Trinkflaschen, auch ich bekomme eine Original-Euskaltel-Trinkflasche. Daraufhin fahre ich erst zu dem Hotel von Agritubel, dann zu dem von Quick Step und Bbox, allerdings ist bei beiden kein Fahrer mehr zu sehen, so dass ich gleich zum Teamlager von Cervélo, Rabobank, Silence-Lotto und Cofidis weiterfahre. Dieses finde ich erst nach einer halben Stunde Irrfahrt, doch auch hier scheinen schon alle Fahrer ins Hotel verschwunden zu sein. Plötzlich erkenne ich Oscar Freire, der mit seiner Frau und seinen Kindern zum Auto geht. Ich gehe zu ihm und bitte ihn um ein Autogramm, was er mir auch gibt. Danach fahre ich wieder zu unserem Hotel, gehe wieder recht früh ins Bett, da ich morgen noch früh einige Autogramme holen möchte, und schlafe meine letzte Nacht in Martigny. Montag, 20. Juli Bei Agritubel hat sich in der Zwischenzeit etwas getan, alle Fahrer stehen vor dem Hotel, sprechen noch mit Journalisten und erfüllen Autogrammwünsche. Ich bekomme von Christophe Moreau, Brice Feillu, Nicolas Vogondy und Geoffroy Lequatre eines und fahre weiter zu Fdjeux und Euskaltel. Bei Fdjeux kommen ebenfalls gerade alle Fahrer aus dem Hotel, ich ergattere weitere Autogramme von der Tour-Überraschung Christophe Le Mevel, dem Weißrussen Yauheni Hutarovich (später Gesamtletzter der Tour), dem Finnen Jussi Veikkanen sowie den Franzosen Anthony Geslin und Benoît Vaugrenard. Mikel Astarloza ist derweil der Einzige von Euskaltel, der sich blicken lässt, so dass ich ein zweites Autogramm (nach gestern) von ihm kriege, während er scherzend mit einem baskischen Journalisten spricht, auf mich macht er einen wirklich freundlichen Eindruck. Erst nach halb 2 – also fast vier Stunden nach den anderen Mannschaften – geht das Cervélo-Team auf die lockere Ruhetags-Ausfahrt und hinterlässt bei mir von vorne bis hinten, vom Mechaniker über die sportlichen Leiter bis zu den Fahrern, einen enorm positiven Eindruck. Während Cervélo wegfährt, kommt die gesamte Rabobank-Mannschaft von der Ausfahrt zurück, so dass ich auch von Menchov, Ten Dam, Niermann und Garate sowie kurz darauf vom Silence-Lotto-Fahrern Matthew Lloyd ein Autogramm bekomme. Insgesamt also ein tolles Erlebnis am Ruhetag mit einer tollen Cervélo-Mannschaft. Was man auch noch mal betonen muss, ist die große Freundlichkeit überhaupt im ganzen Fahrerfeld, alle geben fröhlich Autogramme, sind locker drauf, die Profi-Radfahrer sind einfach ein sympathisches Völkchen! Wir fahren dann aus Martigny ab in Richtung Morillon, ein kleiner Ort in der Nähe von Cluses, dem Fuß der beiden Berge Col de Romme und Col de la Colombière. Die Fahrt, die über Chamonix, direkt am Montblanc vorbei und an riesigen Gletschern entlang, führt, ist traumhaft schön, abends kommen wir in einem kleinen Hotel in Morillon an, fahren mit dem Auto in das langweilige und leblos wirkende Cluses, von wo aus wir erkennen, dass man – um den Colombière hochzufahren – nicht zwangsläufig über den Col de Romme muss, so dass ich übermorgen am Mittwoch von Cluses aus auch direkt den Colombière – dafür aber etwa 16 Kilometer lang – fahren kann. Dienstag, 21. Juli Im Zentrum des Tages steht natürlich die heutige Tour-Etappe über den Großen sowie den Kleinen Sankt Bernhard, die ich im Fernsehen verfolge. Ich habe die Wahl zwischen France 2 und Eurosport. Zunächst schaue ich die meiste Zeit Eurosport, die wirklich gute Kommentatoren haben, die einiges an Fachwissen an den Tag legen und im Gegensatz zum Gros der deutschen Sport-Kommentatoren begeisterungsfähig sind und auch mal Emotionen bei der Berichterstattung zeigen. Beim Finale am Kleinen Sankt Bernhard bleibe ich allerdings bei France 2 hängen, da dort Laurent Jalabert LIVE vom Motorrad aus genau die Rennsituation sieht und voller Begeisterung fast schreiend zwischendurch vom Renngeschehen berichtet, in Frankreich gibt es wenigstens mal begeisterte Kommentatoren, die die tolle Stimmung ein wenig herüberbringen, sogar bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die Abfahrt ist ja dann unheimlich spannend, als es dann für Mikel Astarloza reicht, freue ich mich unheimlich, endlich ein baskischer Sieg nach so vielen Jahren, dann auch noch von Astarloza, einem meiner Lieblingsfahrer. Später nach der Tour muss ich zwar erfahren, dass er positiv getestet wurde, trotzdem war sein Etappensieg ein grandioser Erfolg, wenn man bedenkt, dass man durchaus davon ausgehen kann, dass seine Konkurrenten nicht minder gedopt waren. Wie auch immer, den Rest des Tages mache ich nichts Besonderes mehr, jedoch treffe ich in unserem Hotel drei amerikanische Radrennfahrer, die jeweils ein Trek-Rad bei sich haben und mir erzählen, dass auch sie morgen zum Col de la Colombière fahren und ihn dann hochfahren werden. Mittwoch, 22. Juli Schon um kurz nach 8 stehe ich auf und frühstücke kurz darauf, da ich heute wirklich früh dran sein muss. Zunächst muss ich etwa 15 Kilometer von Morrillon nach Cluses fahren, um von dort aus den Colombière zu bezwingen. Um halb 10 bin ich dann mit allem fertig, in diesem Augenblick kommt einer der drei Amerikaner aus dem Hotel und ruft mir noch „See you at the Colombière“ zu. Ich fahre also (alleine) erst mal in gemächlichem Tempo bis nach Cluses, um kurz nach zehn erreiche ich Cluses, wo schon viele Radfahrer unterwegs sind. Direkt am Ortsausgang geht es rein in den Vor-Anstieg zum Colombière, den wir am Montag schon mal mit dem Auto hochgefahren sind. Schon die ersten Kilometer sind nicht ohne, es geht aber eigentlich ganz gut. Erst etwa 3 Kilometer vor Le Reposoir, dem eigentlichen Fuß des Anstieges, wird es etwas härter und auf einmal – kurz vor Le Reposoir – fängt es an zu regnen! Ich und viele andere Radfahrer stellen sich kurz unter und schon nach 5 Minuten hört das Unwetter auf. Zwar bin ich etwas durchnässt, aber zum Glück scheint die Sonne wieder, als ich durch Le Reposoir durchfahre. Ich bin schon leicht erschöpft, obwohl jetzt der eigentliche Anstieg, der fast 8 Kilometer lang ist und eine durchschnittliche Steigung von mehr als 7% aufweist, erst beginnt. Im Dauerregen und mit Hungerast den Colombière hoch Die ersten 2 Kilometer geht es gut, allerdings ziehen am Himmel dunkle Wolken auf. Und auf einmal beginnt es wieder zu regnen, wieder stelle ich mich kurz unter, wieder hört der Regen auf. So geht es etwa einen Kilometer weiter, zwischendurch esse ich immer ein wenig von meinem mitgenommen Baguette, da ich schon Hunger spüre. Nach dem ich dreieinhalb Kilometer gefahren bin, hört der Regen gar nicht mehr auf, so dass ich mir denke, dass es ja nichts bringe, sich die ganze Zeit unterzustellen und einfach im Regen weiterfahre. Langsam beginne ich an den Armen zu frieren, der Regen wird immer stärker und der ganze Himmel ist dunkelgrau, kein Ende in Sicht. Ich sage mir die ganze Zeit, dass ich die Regenjacke anziehen sollte, aber irgendwie will man nie absteigen. Irgendwann tue ich es dann doch und fahre mit der Regenjacke weiter, während es in Strömen regnet. Es ist wirklich hart und ein Riesenunterschied einen Anstieg bei Sonnenschein oder Regen zu befahren, im Regen bringt es überhaupt keinen Spaß und du fährst automatisch langsamer und verzweifelst mit der Zeit. Irgendwann lasse ich den Wald hinter mir und komme auf die letzten drei Kilometer, wo man einen größeren Ausblick hat und ziemlich nahe am Abgrund fährt. Der Regen wird keinen Deut weniger und ich bekomme mit der Zeit immer mehr Hunger, esse noch mal ein bisschen Baguette und ein wenig vom Powerriegel, was aber kaum hilft. 2 Kilometer vor dem Gipfel wird mein Tritt immer langsamer, ich fühle mich total ausgepowert und völlig kraftlos, trete im allerkleinsten Gang und quäle mich Meter für Meter hoch. Der Regen prasselt pausenlos auf mich ein, ich bin vollkommen durchnässt und das Fahren wird einfach zur Hölle. Immer wieder denke ich daran, einfach vom Rad zu steigen, aber nun, wo ich so nah dran bin, geht das natürlich auch nicht mehr. Auch den letzten Kilometer quäle ich mich langsam hoch, muss kurz sogar ausklicken, kann keinen Meter fahren, werde zum Wieder-Einklicken kurz angeschoben und mobilisere dann meine wirklich allerletzten Kräfte. Da fahre ich um die Kurve und sehe, dass das die endgültig letzte war. Ich fahre die letzten Meter und steige dann erst mal vollkommen entkräftet vom Rad. Wenig später hört man den Hubschrauber kreisen, kurze Zeit später ist er auch zu sehen. Am Colombière hat man keinen großen Ausblick ins Tal, ich merke hier aber, dass ich es so fast noch besser finde, da es die Spannung einfach unheimlich erhöht. Das Radio ist mittlerweile ausgeschaltet und keiner weiß, wen man als Erstes zu Gesicht bekommen wird, übrigens habe ich hier etwas mehr Platz um mich herum, es ist nicht so eng gedrängt. Der Hubschrauber dröhnt nun richtig und da ist es so weit! Um eine langgezogene Kurve, etwa 250 Meter unter mir, sehe ich eine Dreiergruppe: Die Schleck-Brüder und Contador in ihrer Mitte! Sie kommen näher und dann direkt an mir vorbei, ein weiterer grandioser Augenblick! Etwa 20 Sekunden dahinter kommt Klöden als Einzelkämpfer und dann eine Lücke – die zu einer riesigen Lücke wird. Erst viel später kommt eine weitere Gruppe um Armstrong und Nibali, dann viele abgesprengte Fahrer. Knees und Gerdemann einmal mehr ziemlich weit hinten, Gruppe um Gruppe, Fahrer um Fahrer werden den Berg hinaufgeschrien. Erst 30 Minuten später kommt endlich das Gruppetto, ziemlich kompakt und groß, aber keiner wie in Verbier mit einer fröhlichen Miene. Nach dem Grupetto wird vergebens auf einen ganz bestimmten gewartet: Kenny van Hummel. Dann erzählen welche, dass er gestürzt war und aufgeben musste, was für ein bitteres Ende für den wahren „Kämpferischsten Fahrer der Tour“. Bald danach kann ich mich selbst auf die Abfahrt machen, ein weiterer großartiger Tour-Tag – wenn auch diesmal alleine – neigt sich dem Ende zu. Noch steht allerdings die Abfahrt an, die wieder einmal etwas ganz Besonderes wird, wenn man auch wegen der Menschenmassen höllisch aufpassen muss. Noch nie in meinem Leben bin ich solche Abfahrten gefahren, nach Le Reposoir geht es dann wieder diese Vorsteigung herunter (die die Fahrer dieses Jahr nicht gefahren sind), auf der weniger Menschen, dafür umso mehr Autos sind. Mit vielen weiteren Radfahrern kann man aber wieder genüsslich auf der Gegenspur herunterrasen und schon bin ich in Cluses. Hier nun merke ich, dass ich wirklich völlig am Ende bin und nicht mal mehr die letzten 15 Kilometer nach Morrillon, die allerdings auch mit einem ziemlich steilen Anstieg versehen sind, schaffen würde. Von demher steige ich in einen Bus, der mich in Morrillon herauslässt, nach dem Abendessen falle ich todmüde ins Bett. Donnerstag, 23. Juli Beim Frühstück treffen wir auch die Amerikaner wieder, die uns erzählen, dass sie nun nach Aurillac zum Zeitfahren fahren werden. Für uns aber soll es von nun an in Richtung Mont Ventoux, wo Samstag am vorletzten Tag der Tour die entscheidende Etappe um das Podium stattfinden wird, gehen – mit etwa 400 Kilometern keine kleine Distanz. Gegen 13 Uhr kommt mein Vater wieder, wir packen alles zusammen und auf geht es gen Süden! Weniger besonders als unsere letzte traumhafte Fahrt von Martigny nach Morrillon geht es nun nur noch über die Autobahn, vorbei an Aurillac, wo wir einen Quick-Step-Teamwagen hinter uns lassen, und heraus aus den Alpen. Als es nicht mehr allzu weit bis zum Mont Ventoux ist, suchen wir noch mal einen Supermarkt auf, schließlich stehen nun drei Tage zelten vor uns. Schon aus der Ferne sieht man die große und kahle Spitze des Mont Ventoux, ein ganz besonderer Anblick, da man ihn doch von so unzählig vielen Bildern und Reportagen kennt. Die Landschaft wird hier nun auch richtig schön, wir sind in der Provence, zwar ist alles viel weniger grün als in den Alpen, diese steinige Landschaft hat aber auch etwas Besonderes. Die Nacht wird aber zur negativen Überraschung: die ganze Zeit pfeifen heftige Winde ums Zelt herum, alle paar Minuten wird man aufgeweckt und hat das Gefühl, das Zelt würde wegfliegen. Freitag, 24. Juli Einen der härtesten Anstiege der Welt bezwungen Und dann geht es los: mein Vater und ich starten in das „Abenteuer“, vor uns steht das wohl Härteste, was wir je gefahren sind. Die ersten etwa fünf Kilometer sind zwar weniger steil und wir fahren uns ganz langsam ein, dafür herrscht aber eine brütende Hitze und die Straße ist ohne Schattenplätze der Sonne ausgeliefert. Schon hier sind Massen an Wohnmobilen und unglaublich viele Menschen an den Straßenrändern auf ihren Campingstühlen. Bei Kilometer 6 dann der große Schock: auf einmal wird es viel steiler und wir quälen uns im allerkleinsten Gang Meter für Meter weiter. Zwar spendet der Wald nun ein wenig Schatten, die Hitze ist aber weiter nahezu unerträglich. Schnell verabschieden wir uns von dem in diesem Moment völlig abwegigen Gedanken noch 15 Kilometer dieser Art zu fahren, das Ziel ist nun überhaupt zu unserem Zelt ca. 6,5 Kilometer vor dem Ziel zu kommen. Es geht weiter, wird noch steiler, ich kann kein Wort herausbringen, jeder einzelne Meter tut weh, tut verdammt weh. Drei Kilometer zieht sich das erst mal so hin, dann wird es kurz ein bisschen weniger steil, dafür fehlen aber die Bäume und wir sind wieder dem prallen Sonnenschein preisgegeben. Die Massen an Zelten, Autos, Wohnmobilen – und vor allem feiernden Holländern - sind beeindruckend. Dann wird es wieder bewaldeter und somit auch die Straße steiler. Jeden Meter denkt man dabei ans Anhalten, ans kurze Ausruhen, aber irgendwie zieht man dann doch durch. Fast vier weitere hammerharte Kilometer, ich bin sowas von am Ende, Kopfschmerzen von der Hitze, brennende Beine von der Steigung. Nun aber nur noch ein Kilometer bis zum Zelt, der Mut kommt, die Steigung lässt etwas nach und ich beschleunige noch mal und komme dann endlich an. Direkt neben unserem Zeltplatz sind ja eine kleine Theke und ein großer Fernseher aufgebaut, ich hol mir erstmal was zu trinken und schaue dann die letzten Kilometer der gerade laufenden 19. Etappe. Cavendish zum Fünften. Die kleine Pause hat gut getan...und mein Vater und ich beschließen die letzten 6,5 Kilometer doch noch in Angriff zu nehmen. Und diese sind erst mal gar nicht so schwer, nicht zu vergleichen mit dem Anstieg im Wald, dabei haben wir natürlich auch Glück, dass es ziemlich windstill ist. Letztlich zieht sich das Ganze dann aber doch enorm hin, vorbei am Tom Simpson-Denkmal und der letzte Kilometer ist noch mal richtig hart. Die letzte Kurve, die letzten steilen Meter...und dann habe ich es geschafft, mein Vater ebenso. Ein sehr besonderes Gefühl, ein wahnsinniger Ausblick und unheimlich viele begeisterte Menschen neben mir. Ich bin fasziniert, ergriffen und auch stolz auf mich, diesen mythischen, diesen so harten Anstieg bezwungen zu haben. Dann fahren mein Vater und ich zurück zum Zeltplatz. Nun ist es bereits Abend und wir essen, dann begebe ich mich völlig erschöpft ins Zelt und schlafe schnell ein. Samstag, 25. Juli Bald kommt die Werbekarawane, das Beste diesmal, dass die L'Equipe Zeitungen verteilt, somit kann ich das Gesamtklassement noch mal genau studieren und mir so die Zeit vertreiben. Diesmal haben wir kein Radio in der Nähe und somit wissen wir nicht, wer als Erster kommen wird, ob es nun noch Fahrer der Gruppe oder doch die Favoriten sind. Nachdem weitere Fahrer, unter anderem Velits und das Duo Ein weiteres unvergessliches Erlebnis bei der Tour geht also zu Ende, so viele großartige Erlebnisse in einer Woche, so viele Momente, so viele Menschen, so viele Emotionen, so viel Freude! Jemandem, der nie bei der Tour war, kann man dieses Feeling kaum beschreiben, es ist etwas ganz Besonderes und Einzigartiges, wirklich vor Ort zu sein, so nah an den Fahrern dran zu sein. Fast eine Million Menschen am Mont Ventoux zeigen diese Anziehungskraft der Tour mehr als deutlich. Für das nächste Jahr sind dann schon die Pyrenäen geplant, da die schwersten Etappen endlich wieder dort stattfinden werden, dort wo die Anstiege noch mythischer, die ganze Atmosphäre noch mal besonderer ist, wenn ich an 2006 zurückdenke. Vive le tour! |
|||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||
29.06.2010 | |||||||||||||||||||||
Mehr zu diesem Thema bei Google suchen |