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Bahnradsport Herzschlagfinale bei den 50. Bremer Sixdays |
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17.01.2014 | ||
Herzschlagfinale bei den 50. Bremer SixdaysInfo: Sixdays: Sixdays Bremen 2014Autor: Thorsten Schmidt (www.sixdaysinfo.de) Bremen, 17.01.2014 – Vor drei Tagen endete das 50. Sechstagerennen in Bremen mit einem hochdramatischen Finale. Leif Lampater/Wim Stroetinga schlugen die favorisierten Marcel Kalz/Robert Bartko. Am Ende waren beide Teams runden- und auch punktgleich, so dass Stroetingas Sieg über Kalz im Zielsprint den Ausschlag gab. Thorsten Schmidt erlebte das Spektakel in der Halle aus nächster Nähe und lässt für LiVE-Radsport.com die Ereignisse dieser denkwürdigen Nacht Revue passieren. Überdies liefert er O-Töne der Protagonisten, durch welche die ganze Bandbreite der Fahrer-Emotionen deutlich wird, von unfassbarer Freude bis bitterer Enttäuschung. Berichte: 1. Nacht | 2. Nacht | 3. + 4. Nacht | 5. Nacht | 6. Nacht Mannomann! Was für ein dramatisches Finale bei den 50.Sixdays aus Bremen. Zwei Teams standen am Ende punkt- und rundengleich auf dem Podium. Hat es so was in der 116jährigen Geschichte des Sechstagerennens überhaupt schon einmal gegeben? Der Weg ins Finale Mit Lampater/Stroetinga, Bartko/Kalz, Müller/Hester und Grasmann/Brisse fuhren vier Teams Schulter an Schulter durch die sechs Nächte von Bremen. Sie ließen sich keinen Augenblick aus den Augen. Dadurch kam es auch kaum zu Veränderungen in der Gesamtwertung. Meine Prognosen vom Eröffnungsabend wurden gleich mehrfach über den Haufen geworfen. Zum einen, weil Franco Marvulli sich schon am zweiten Abend aus dem Kreis der Favoriten verabschieden musste, weil sich sein Partner Tristan Marguet mit hohem Fieber neutralisieren ließ. Zum anderen, weil sich Bartko/Kalz in unerwarteter Tempohärte zeigten und insbesondere bei den Zeitfahr-Wettbewerben dominierten. Und nicht zuletzt, weil Grasmann/Brisse rasch zu einem harmonischen Team zusammenfanden und offensiv an der Spitze mitfuhren. Diese vier Teams an der Spitze dominierten durchgehend das Wettkampfgeschehen, so dass die weiteren Teilnehmer nur kurzzeitig im Rampenlicht standen. Dabei machten vor allem Andreas Graf und Jesper Mørkøv durch mehrfache Solo-Fluchten in den Jagden auf sich aufmerksam und wurden verdientermaßen mit dem fünften Platz belohnt. Für die Niederländer Yoeri Havik und Nick Stöpler wäre vielleicht etwas mehr drin gewesen als Platz sechs, wenn Yoeri Havik nach seinem Sturz nicht für zwei Tage hätte neutralisiert werden müssen. Es war gerade der Gestürzte, der dann durch selbstbewusste Sprints glänzen konnte, wohingegen Nick Stöpler, der im letzten Jahr noch die große Überraschung in Bremen gewesen war, diesmal eher blass blieb. "Havik und Stöpler müssen aufpassen, dass sie nicht die ewigen Talente bleiben", sagte mir Altmeister Robert Slippens, den ich am Schlusstag in den Logen traf, "sie verlassen sich zu sehr auf ihr Talent. Für den letzten Schritt in die Weltspitze müssen sie sich im Training mehr quälen. Es ist jetzt ihre vierte Saison bei den Profis und da erwarten wir in Holland etwas mehr von den beiden." Woraufhin ich ihn daran erinnerte, wie lange Slippens/Stam hinterherfuhren, bis sie zu einem Top-Team wurden. "Wir haben fünf Jahre gebraucht", lachte er, "und deshalb habe ich bei Havik und Stöpler noch Hoffnung." Noch nie war es bei den Bremer Sixdays so eng - der bisher knappste Erfolg war 2001 der Sieg von Scott McGrory und Matthew Gilmore mit einem Punkt Vorsprung - so dass ein Blick auf die Protagonisten lohnt - und auf die Kleinigkeiten, die letztendlich den Ausschlag gaben: Bei Christian Grasmann und Vivien Brisse waren die Rollen klar verteilt. Der Routinier Grasmann (56 Sechstagerennen), der mit einem Sieg bei der Revolution-Serie direkt aus Manchester nach Bremen kam, gab die Taktik vor und schickte den schnellen Franzosen Vivien Brisse (8 Sechstagerennen) in die Attacken. Mit schnellen Vorstößen zeigte der 25jährige, warum er das Weltmeister-Trikot trägt. Allerdings hätte er seine Schnelligkeit in mehr Punkte ummünzen können. Andreas Müller und Marc Hester war die Anspannung über all die Tage anzumerken. Auf gar keinen Fall wollten sie zum dritten Mal in Folge in Bremen auf dem vierten Platz landen. Andreas Müller kennt man als Frohnatur, der in den Rennpausen für jeden Plausch zu haben ist. Doch diesmal habe ich ihn nach den Jagden auch mal still in der Koje sitzen oder liegen sehen. Ruhe, Erholung, Konzentration. Marc Hester hingegen gehört von Natur aus zu den stillen und introvertierten Typen. Sein Sturz am ersten Abend hatte ihm die Laune endgültig verhagelt. Sogar als alle Fahrer und Betreuer beim Comeback von Klaus & Klaus in einer langen Polonaise rund um die Bahn tanzten, verkroch sich Marc in seiner Koje und zog den Vorhang zu. Ruhe, Erholung, Konzentration. In den Jagden fuhren die beiden ökonomischer als in den Vorjahren. Die Angriffe waren wohl platziert und mit möglich wenig Risiko vorgetragen. Zwischendurch legten sie aber auch Rennphasen ein, in denen sie bei den Schwarzen (Bartko/Kalz) oder bei den Roten (Lampater/Stroetinga) am Hinterrad klebten und die Rundengewinne einfach nur mitfuhren. Robert Bartko und Marcel Kalz haben sich als festes Team für diesen Winter zusammengefunden, konnten bislang aber noch nicht mit vorderen Platzierungen überzeugen. Am ersten Abend kamen die beiden etwas schwerfällig in die Gänge. Aber insbesondere Marcel Kalz fuhr mit Wut im Bauch, weil er bei seinem Heimrennen in Berlin nach einer Meinungsverschiedenheit mit der dortigen Sportlichen Leitung keinen Vertrag bekommen hat. Und dann zeigte ein hochkonzentrierter Robert Bartko, dass er den Fehler des vergangenen Jahres, als er zur Halbzeit nach Punkten deutlich zurücklag, keineswegs wiederholen wollte. In allen Wettbewerben fuhr er in die Punkte. Die Dominanz bei den 500m-Zeitfahren war allein schon die halbe Miete. Bartko/Kalz konnten im diesem Wettbewerb an allen Abenden die vollen 20 Punkte einstreichen. Ihre Zeit von 27,783 s vom Montagabend war die schnellste Zeit dieser Sixdays. Da sowohl Bartko als auch Kalz große Ästheten auf dem Rennrad sind, strahlten sie in den Jagden eine starke Dominanz aus und waren auch die klaren Favoriten des Publikums. Keiner schaffte einen Rundengewinn so schnell wie die beiden Schwarzen. Klare Bestwertung in der B-Note. Eine wahre Freude, den beiden zuzuschauen. Leif Lampater habe ich selten so fröhlich und selbstbewusst erlebt. Er fährt in der Form seines Lebens. Der Sieg in Gent hat ihm offenbar zusätzlichen Auftrieb gegeben. Wim Stroetinga fuhr zum ersten Mal in Bremen und war für die Presse ebenso wie für das Publikum der große Unbekannte. Lampater und Stroetinga waren allerdings in der Saison 2010/2011 in Amsterdam und Rotterdam schon mal zusammen gefahren, kannten sich und ihre Stärken und Schwächen. Stroetinga kam auf Anhieb mit der technisch schwierig zu fahrenden Bahn in Bremen gut zurecht. Bereits am Donnerstag testete er im direkten Duell mit den härtesten Konkurrenten deren Sprintstärke. Ihm war da vielleicht schon klar, dass er die schnellsten Beine hat. Der Showdown am Finalabend Vier Teams gingen rundengleich in den letzten Abend. Kalz/Bartko und Lampater/Stroetinga lagen punktgleich an der Spitze. Mit 33 Punkten Rückstand waren Grasmann/Brisse die ersten Anwärter auf Platz 3. Mit weiteren 36 Punkten Rückstand hatten Müller/Hester die schlechtesten Karten für eine Podiumsplatzierung. Ein Duell um Platz 1 und ein Duell um Platz 3 war also zu erwarten, zumal die beiden Spitzenteams nach Punkten kurz vor ihrer dritten Bonusrunde standen. Grasmann/Brisse hätten also zwei zusätzliche Rundengewinne für den Sieg benötigt. Müller/Hester wurde allenfalls noch eine Außenseiterchance eingeräumt. Aber genau diese wussten sie zu nutzen. Durch Platz 1 und 2 in den punkteträchtigen Ausscheidungsrennen kamen sie bis auf sechs Punkte auf Grasmann/Brisse und den erhofften dritten Platz heran. Der psychologisch vorentscheidende Moment war im Finale der kleinen Jagd zu beobachten. Zu Beginn der letzten Runde übergab Lampater in einem mittelmäßig gelungenen Wechsel an Stroetinga. Kalz lag dadurch schon gute zwei Radlängen in Führung. Doch Stroetinga saugte sich heran und konnte auf den letzten Metern den Berliner noch abfangen. Spätestens danach hätten die Schwarzen ihre Taktik ändern müssen, zumal sie nur mit knappem Vorsprung ins Finale gingen: Stand vor der abschließenden Jagd: 1. Bartko/Kalz 0/321 Punkte 2. Lampater/Stroetinga 0/317 3. Grasmann/Brisse 1/262 4. Müller/Hester 1/256 Auf der Pressetribüne tippten die meisten Kollegen auf den fünften Sieg von Robert Bartko. Ich hielt dagegen. Meine Vermutung: Stroetinga macht den Unterschied. Im Finale neutralisieren sich die vier Spitzenteams gegenseitig. Sie fahren Rad an Rad im Feld. Überraschungen bleiben aus. Taktische Finessen stehen im Vordergrund. Die Großen Jagden am Samstag und am Montag waren aus sportlicher Sicht sicherlich hochwertiger. Die Finaljagd hingegen wird reinstes Radsportschach. Allerdings mit allen Variationen, die eine Zweier-Mannschaftsjagd zu bieten hat. Mal fahren die Schwarzen aus dem Feld heraus. Die Roten lassen sie zunächst gewähren, fahren erst hinterher, als die Schwarzen den Rundengewinn fast schon erreicht haben. Oder sie gewähren den Schwarzen eine halbe Runde Vorsprung, erhöhen dann das Tempo im Feld und lassen die Ausreißer einige Runden lang auf der Flucht verhungern, bevor sie mit dem Feld im Schlepp wieder auffahren. Und danach das ganze umgekehrt. In diesem permanenten Duell der beiden Spitzenreiter geht völlig unter, dass Grasmann/Brisse und Müller/Hester nach 17 Minuten ein gemeinsamer Rundengewinn gelingt, der sie ebenfalls in die Nullrunde bringt. Aus dem Zweikampf ist nun wieder ein Vierkampf geworden. Nach 25 Minuten kommt auf den Tribünen zum ersten Mal Finalstimmung auf, als sich Bartko/Kalz allein auf die Flucht begeben und einen rasant schnellen Rundengewinn verbuchen. Das sah nicht nur gut aus. Das sah auch sehr souverän aus. Eine Demonstration der Stärke. Die Publikumslieblinge allein in der Nullrunde. War das schon die Vorentscheidung? Den nächsten Rundengewinn schaffen die vier Spitzenteams gemeinsam. Nichts Spektakuläres. Nichts Spannendes. Und genau diesen Moment nutzen Lampater/Stroetinga und fahren nach dem Rundengewinn sofort am Feld vorbei. Eine Doublette! Nicht ihre erste Doublette bei diesen Sixdays. Auch das sah gut aus. Eine Demonstration der Cleverness. War das jetzt die Vorentscheidung? Grasmann/Brisse und Müller/Hester ziehen nach und damit war klar, dass die Entscheidung diesmal über die Punkte fallen würde. Bartko/Kalz haben immer noch vier Punkte Vorsprung auf Lampater/Stroetinga und Grasmann/Brisse haben immer noch sechs Zähler mehr auf ihrem Konto als Müller/Hester. In den letzten 50 Runden warten fünf Sprintwertungen auf die Fahrer, die mit 10-6-4 und 2 Punkten für die Erstplatzierten honoriert werden. Den ersten Sprint gewinnt Stroetinga vor Kalz. Punktegleichstand! Bartko und Kalz lassen die Ablösungen aus. Bartko fährt die Runden und schickt Marcel Kalz jeweils beim Gebimmel der Glocke in den Spurt. Zudem manövriert er sich hinter die Konkurrenten. Stroetinga muss den Spurt vor vorne fahren. Kalz kann kontern und gewinnt. Nun wieder 4 Punkte Vorsprung für Bartko/Kalz. In den nächsten 10 Runden dasselbe Spiel. Stroetinga lässt sich erneut in die ungünstige Position drängen und eröffnet früh - viel zu früh - den Sprint. Das kann er nicht. Das kann Marcel Kalz viel besser. 8 Punkte Vorsprung für Bartko/Kalz. Sie haben den Sieg vor Augen. Noch zwei Sprintwertungen. Wenn Kalle wieder vorne liegt, dann ist ihnen der Sieg nicht mehr zu nehmen. Lampater und Stroetinga müssen gewinnen. In der letzten Runde liegt Kalz vorne und erhöht weiter das Tempo. Stroetinga wartet lange. Fast schon zu lange. Hopp oder topp. In der Zielkurve erst greift Stroetinga an. Und gewinnt. Eine hauchdünne Entscheidung. Wieder 4 Punkte Vorsprung für Bartko/Kalz. Der letzte Sprint entscheidet. Nach sechs Tagen und knapp 1000 gefahrenen Kilometern entscheidet der letzte Sprint über den Gesamtsieg bei den 50.Bremer Sixdays. Bartko und Kalz wechseln früh in der vorletzten Runde. Sie wollen ihre Stärke ausspielen. Sie wollen einen langen Sprint fahren. Doch der letzte Wechsel vom Lampater und Stroetinga klappt optimal. Stroetinga geht aus dem Sattel. Einen halben Meter vor dem Zielstrich fliegt er an Marcel Kalz vorbei. Die Roten jubeln. Die Schwarzen können es nicht fassen. Und gestikulieren wild mit dem Blick auf die Anzeigentafel. Punktegleichstand! Gibt es zwei Sieger? Nein. Die Regeln sind eindeutig: Bei Punktegleichstand zählt der letzte Sprint. Mit dem knappsten aller möglichen Ergebnisse sind Leif Lampater und Wim Stroetinga die Sieger der Jubiläums-Sixdays in Bremen. In diesem dramatischen Duell ist der Kampf um Platz drei völlig untergegangen. Grasmann und Brisse ist in den letzten 10 Minuten die Kraft ausgegangen, so dass Hester und Müller fast kampflos in die Punkte kamen. Für den Wahl-Österreicher Andreas Müller ist es im 77.Sechstagerennen erst die zweite Podiumsplatzierung. "Geil! Geil! Geil!", ruft er mir vor der Siegerehrung zu, "einmal in Bremen auf dem Treppchen!". Robert Bartko steht etwas abseits. Ich gehe zu ihm, versuche gar nicht erst, ihn zu trösten. "Männer weinen ja nicht in der Öffentlichkeit", flüstert er mir zu, "aber genau danach ist mir jetzt zu Mute". Marcel Kalz fehlen die Worte. "Ich fass es nicht", stammelt er, "ich hab mich so stark gefühlt wie nie. Und dann so was. Vielleicht haben wir uns zu sicher gefühlt…?" Und so sieht man auf dem Siegerfoto zwei fröhliche Sieger, zwei Geschlagene mit versteinerten Gesichtern und einen Drittplatzierten, der strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Und einen stillen Dänen, der erschöpft und regungslos um sich schaut. Wie er sich denn jetzt fühlen würde, will der Hallensprecher von Marc Hester wissen. Es sei das erste Mal seit seinem Sturz am Eröffnungsabend, dass er seine Schmerzen nicht spüren würde. Und dann bricht plötzlich all die Anspannung und die Freude aus ihm heraus. Er öffnet die soeben überreichte Sektflasche und zettelt ein Spritzbad an, wie bei einem Formel-Eins-Autorennen. Andreas Müller genießt die Sektdusche. Auch Lampater und Stroetinga schütteln ihre Flaschen. Die Fotografen nehmen sofort Reißaus. Auch so etwas hat es bei den Bremer Sixdays noch nicht gegeben. Leif Lampater muss noch viele Interviews geben. Er habe sich schon als Favorit gesehen, gab er zu Protokoll, aber es war ein harter Kampf von zwei gleichwertigen Teams. Was ein Blick aufs Resultat bestätigt. Aber Stroetinga machte den Unterschied. -> Zu allen Resultaten und Endständen P.S.: Zum Jubiläum der Sixdays Bremen ist von unserem "Mann vor Ort" Thorsten Schmidt ein Buch erschienen: 50 Jahre 6-Tage-Rennen in Bremen". Der Bildband mit mehr als 200 Fotos, vielen Erinnerungen von Radsportlern von A wie Altig bis Z wie Zabel und mit allen Endergebnissen kann überall im Buchhandel bestellt werden oder bei www.kultur-buch.de. |
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17.01.2014 | ||
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