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LiVE-Radsport liest LiVE-Radsport geht ins Kino: Filmbesprechung zu "The Program" |
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21.10.2015 | ||
LiVE-Radsport geht ins Kino: Filmbesprechung zu "The Program"Autor: Heike Oberfeuchtner (H.O.)21.10.2015 – Ihr kennt die Rubrik LiVE-Radsport liest, in der wir Bücher mit Bezug zum Radsport vorstellen. Doch bekanntlich gibt es auch Filme zum Thema Radsport, z. B. "The Program – Um jeden Preis", der vor einigen Tagen in den europäischen Arthaus-Kinos anlief. Das sogen. Biopic thematisiert den Werdegang und die Doping-Machenschaften des heute 44-jährigen ehemaligen US-Radprofis Lance Armstrong und sorgte schon im Vorfeld für Schlagzeilen. So offenbarte der Hauptdarsteller, dass er sich in Vorbereitung auf seine Rolle selbst mit leistungssteigernden Mitteln behandelt habe. Und Doping-Doktor Michele Ferrari wollte (bislang ohne Erfolg) die Ausstrahlung des Film in Italien verhindern, da er sich darin falsch dargestellt sieht. LiVE-Radsport.com hat sich den Streifen angeschaut und bespricht ihn für Euch. Inhalt: In 20 Jahren vom Helden zum gebrochenen Mann "The Program – Um jeden Preis" ist eine Regiearbeit des Engländers Stephen Frears (frühere Werke z. B.: Gefährliche Liebschaften, Mary Reily, High Fidelity) und basiert auf "Seven Deadly Sins", einem Buch des irischen Sunday Times-Journalisten David Walsh, der auch selbst (verkörpert von Chris O'Dowd) in dem Film vorkommt, anfangs als Armstrong-Sympathisant, dann – nachdem ihm dessen wahnsinniger Leistungssprung 1999 schmerzlich die Augen geöffnet hat – als Armstrongs idealistisch denkender Widerpart. Lance Armstrong wird gespielt von Ben Foster, dem man eine sehr, sehr leichte optische Ähnlichkeit mit dem einstigen Tour-Dominator wohl nicht absprechen kann und der zuvor in Filmen wie "Hostage" und "The Mechanic" mitwirkte. Die Handlung beginnt im Jahr 1993 und endet mit der Aberkennung aller Tour-Siege im Oktober 2012 bzw. mit dem Doping-Geständnis im Januar 2013. Die ersten Doping-Erfahrungen, geboren aus unbedingtem Siegeswillen, werden gezeigt und wie sie durch die Diagnose Hodenkrebs jäh unterbrochen werden. Die Krebstherapie als solche wird in knapp 10 Minuten abgehandelt (womit man der Bedeutung, die diese Jahre für Armstrongs Leben hatten, wohl kaum gerecht wird), dann folgt der Aufbau des US-Postal-Teams mithilfe von Johan Bruyneel (Denis Menochet) und Bill Stapleton (Lee Pace) sowie die Installation des "Programms", also des systematischen Dopings vor allem mit Erythropoetin, welches den Alltag Armstrongs und seiner Helfer beherrscht. Heimlicher (Anti-)Held in dieser Phase des Films ist Dr. Michele Ferrari, der von Guillaume Canet mit dem zweifelhaften Charme eines Mafiabosses verkörpert wird. Während Armstrong Tour-Sieg an Tour-Sieg reiht, kommen die ersten handfesten Verdachtsmomente auf, die von den Aussagen der Physiotherapeutin Emma O'Reilly, dem Ehepaar Andreu u. a. gestützt werden und in Walshs erstes Buch "LA Confidential" münden. Doch noch gewinnt Armstrong seine Prozesse – den gegen die Sunday Times und den gegen die Versicherungsgesellschaft SCA Promotions, deren Chef von Hollywood-Legende Dustin Hoffman gespielt wird. Der Film zeigt, dass sich Armstrongs Macht weniger aus den Drohungen speist, die er gegenüber Kritikern und "Denunzianten" ausspricht, als vielmehr aus der Tatsache, dass seine Geschichte zu perfekt und zu inspirierend ist, um als Lüge enttarnt werden zu dürfen, und dass er aufgrund seines Engagements im Kampf gegen den Krebs die Moral auf seiner Seite zu haben scheint. Im weiteren Verlauf kommt Floyd Landis, gespielt von Jesse Plemons, eine Schlüsselrolle zu. Armstrongs Edelhelfer wird eingeführt als Rebell, entwickelt sich zum eifersüchtigen Querkopf und packt am Ende, nachdem seine alten Freunde ihn fallengelassen haben, aus Rache vor der USADA aus. Der Frust darüber, dass es ihn und nicht seinen noch viel schlimmeren einstigen Kapitän erwischt hat, scheint ihm größerer Ansporn zu sein als die Prägung durch sein hochreligiöses Umfeld. Vom Comeback, das Armstrong aus Eitelkeit, Langeweile und Unbesiegbarkeitshybris unternimmt, thematisiert der Film lediglich das Jahr 2009. Fast unmittelbar darauf sehen wir den Hauptprotagonisten als gebrochenen Mann, dem das Verdikt "lebenslang gesperrt" so zusetzt, dass er seinen Widerstand aufgibt und ein Geständnis ablegt. Bewertung: Psychologisch interessant und stimmig "The Program" hat viele Stärken und nur sehr wenige Schwächen: etwa den Anachronismus, dass Armstrong im Jahr 1993 im Regenbogentrikot am Start eines belgischen Frühjahrsklassikers steht oder dass die Suggestion, Armstrong habe auch in seinen beiden Comeback-Jahren gedopt, mit der sonst sehr klaren Linie, sich an Bewiesenes zu halten, bricht. Außerdem ist es schade, dass der von Landis angestoßene "Whistleblower-Prozess", der zum finale furioso des ganzen Dramas werden könnte, nur im Abspann erwähnt wird. Ansonsten ist der Film überraschend gut gelungen und sachlicher als vieles, was über dieses Thema gesagt und geschrieben wurde. Er bewertet nicht, er verurteilt nicht, es teilt nicht ein in Gut und Böse, er erzählt lediglich eine ungeheure Geschichte und berichtet von Menschen, deren Tun mit wenigen Sätzen und kurzen Schlüsselszenen erstaunlich begreifbar gemacht wird. Wir wissen nicht, ob sich alles genauso zugetragen hat, aber in sich ist das Ganze psychologisch stimmig. Sehr beeindruckend ist auch, dass Nebenschauplätze wie der SCA-Prozess erwähnt werden, sodass sich selbst Zuschauer, die den Werdegang Lance Armstrongs schon seit Jahren verfolgen, nicht langweilen. Fazit Unbedingt sehenswert! Für alle, die zumindest ein paar Vorkenntnisse mitbringen. Ein Film, der – und das soll jetzt kein EPO-Kalauer sein – unter die Haut geht. Titel: The Program – Um jeden Preis (Original: "The Program) Laufzeit: 103 Minuten Cast: Ben Foster, Chris O-Dowd, Guillaume Canet, Jesse Plemons u. a. Regie: Stephen Frears Produktion: Anton Capital Entertainment (ACE), StudioCanal, Working Title Films |
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21.10.2015 | ||
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