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Ein Rennen für die Geschichtsbücher: Mathew Hayman gewinnt denkwürdiges Paris-Roubaix 2016
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10.04.2016

Ein Rennen für die Geschichtsbücher: Mathew Hayman gewinnt denkwürdiges Paris-Roubaix 2016

Info: PARIS - ROUBAIX 2016
LiVE-Ticker zum Nachlesen: Flash | Text
Autor: Felix Griep (Werfel)



Roubaix, 10.04.2016 – Die 114. Austragung von Paris-Roubaix, sie war die bestmögliche Werbung für den Radsport. Ein dramatischer Rennverlauf sorgte für non-stop-Action vom Start bis ins Ziel, beginnend mit einem fast zweistündigen Fight um die „richtige“ Ausreißergruppe, in der sich dann mit Mathew Hayman tatsächlich schon der spätere Sieger befand. Für einige Favoriten wie Peter Sagan und Fabian Cancellara gingen die Chancen auf den Sieg bereits gut einhundert Kilometer vor dem Ziel verloren, als Etixx-Quick Step eine überraschende Offensive startete, die ihrem Leader Tom Boonen letztlich einen zweiten Platz bescherte. Auch die Teams Sky und LottoNL-Jumbo mit ihren Topfahrern Ian Stannard und Sep Vanmarcke drückten dem Rennen ihren Stempel auf.

Hayman schreibt Geschichte, Boonen verpasst den Rekordsieg
Die Wettervorhersagen unter der Woche hatten die Möglichkeit für das erste Paris-Roubaix im Regen seit dem Jahr 2002 in Aussicht gestellt, doch am Renntag blieb es trocken, die Sonne schien und die Thermometer zeigten bis zu 15 Grad an. Es brauchte heute aber gar keine extremes Wetter, um für ein Rennen zu sorgen, das zweifellos zum Besten gehört, was der Radsport in seiner aktuellen Generation erlebt hat. Es endete nach knapp sechs Stunden in einem Fünfkampf auf der Bahn des Velodroms von Roubaix und mit einem überraschenden Sieg des Australiers Mathew Hayman, der sich den größten Erfolg seiner Karriere – zuvor war das der Gewinn von Paris-Bourges 2011! – absolut verdient hatte. Dass der 37-Jährige bei seiner 15. Teilnahme erstmals in der „Hölle des Nordens“ triumphierte, ist ein neuer Rekord, bei den vorherigen 113 Austragungen waren zudem nur zwei Sieger älter als er, Gilbert Duclos-Lassalle 1993 und Lucien Lesna 1902 mit jeweils 38 Jahren. Tom Boonen (Etixx-Quick Step) hätte ebenfalls Geschichte schreiben und als erster Fahrer zum fünften Mal Paris-Roubaix gewinnen können, doch im Endspurt zog der Belgier gegen Hayman den Kürzeren.

Kampf um die Ausreißergruppe

6, 24, 3 und 16 – die Zahlen des Tages im Ausreißerlotto
Direkt nach dem Start in Compiègne begannen die Angriffe von Fahrern, die sich als Ausreißer auf der großen Bühne präsentieren wollten – was diesmal noch reizvoller war, da Paris-Roubaix zum ersten Mal in seiner Gesamtheit von Beginn an live im Fernsehen übertragen wurde. Als sich nach zehn Kilometern Nils Politt (Katusha), Kenneth Vanbilsen (Cofidis), Robin Stenuit (Wanty-Groupe Gobert), Gediminas Bagdonas (AG2R La Mondiale), Benoît Jarrier (Fortuneo-Vital Concept) und Evaldas Siskevicius (Delko-Marseille Provence KTM) etwas abgesetzt hatten, schien schnell eine passable Gruppe gefunden worden zu sein, doch das Sextett hatte nicht lange Bestand. Die zweite Gruppe wurde viel umfangreicher, bestand aus gleich zwei Dutzend Fahrern, worunter sich mit Marco Coledan, Stijn Devolder, Jasper Stuyven und Boy Van Poppel allein vier aus dem Rennstall Trek-Segafredo befanden. Etwas später setzte sich aus dieser 24-köpfigen Gruppe das Trio Van Poppel, Elia Viviani (Sky) und Alexander Porsev (Katusha) ab, aber in dieser Konstellation fühlten sich verständlicherweise zu viele Teams ausgeschlossen und es kam 190 Kilometer vor dem Ziel – nachdem zusätzlich das Feld zwischendurch in mehrere Windstaffeln zerfallen war – zu einem Zusammenschluss. Da waren schon 67,5 Kilometer in höchstem Tempo gefahren. Kurz darauf ließ ein Angriff von Sylvain Chavanel (Direct Energie) dann die „richtige“ Gruppe enstehen: 16 Fahrer waren dabei.

Erviti und Hayman – zwei Ausreißer mit Top10-Ergebnissen
Auf den ersten gut 20 Kilometern ihrer Flucht fuhren diese 16 Ausreißer einen Vorsprung von einer Minute auf das Peloton heraus, obwohl in diesem Etixx-Quick Step und vor allem Tony Martin weiter Tempo fuhr. Das änderte sich ab dem 159 Kilometer vor dem Ziel gelegenen Troisvilles, als in kleinen Abständen die ersten der insgesamt 27 Kopfsteinpflaster-Sektoren überquert wurden, hinten das Team Sky die Kontrolle übernahm und der Rückstand des Feldes bis auf 3:45 Minuten stieg. An der Spitze des Rennens waren nach Defekten von Michael Mørkøv (Katusha), Yannick Martinez (Delko-Marseille Provence KTM) und Jelle Wallays (Lotto Soudal) noch 13 Fahrer verblieben. Zu zweit waren nur Mathew Hayman und Magnus Cort Nielsen (beide Orica-GreenEdge). Neben Chavanel waren ihre Begleiter Salvatore Puccio (Sky), Borut Bozic (Cofids), Frederik Backaert (Wanty-Groupe Gobert), Yaroslav Popovych (Trek-Segafredo), Maxime Daniel (AG2R La Mondiale), Johan Le Bon (FDJ), Tim Declercq (Topsport Vlaanderen-Baloise), Reinardt Janse Van Rensburg (Dimension Data), Marko Kump (Lampre-Merida) und Imanol Erviti (Movistar), der sein Kunststück von der Flandern-Rundfahrt wiederholen und erneut als Ausreißer ein Top10-Ergebnis erzielen konnte; am Ende wurde der Spanier Neunter. Doch diesmal stellte ihn sein Fluchtkollege Hayman in den Schatten, der einen Sieg erringen sollte, den wohl niemand für möglich gehalten hätte.

Die frühe Etixx-Offensive

Cancellara und Sagan – schon 115 Kilometer vor dem Ziel abgehängt
Die ersten sieben Kopfsteinpflaster-Sektoren bildeten die ruhigste Phase des Rennens, die Ausreißer bauten ihren Vorsprung aus und im Feld hatte man Zeit, sich an die Pavés zu gewöhnen, die diesmal eine totale Länge von 52,8 Kilometer und somit rund ein Fünftel der Gesamtstrecke ausmachten. Gelegentliche Defekte und Stürze ließen sich natürlich nicht vermeiden. Im Sektor Monchaux-sur-Ecaillon, Nummer 20 und mit drei Sternen eher von mittlerer Schwierigkeit, schlug dann durchaus überraschend das Team Etixx-Quick Step mit voller Kraft zu und eliminierte auf diese Weise bereits 115 Kilometer vor dem Ziel zwar den eigenen Mann Zdenek Stybar, der 2015 den zweiten Platz belegt hatte, aber mit Fabian Cancellara (Trek-Segafredo) und Peter Sagan (Tinkoff) auch die beiden Topfavoriten. Neben Etixx-Quick Step mit Tom Boonen, Iljo Keisse, Tony Martin und Guillaume van Keirsbulck waren Sky mit Luke Rowe, Christian Knees, Gianni Moscon und Danny Van Poppel sowie LottoNL-Jumbo mit Sep Vanmarcke, Twan Castelijns, Maarten Tjaliingii, Tom Van Asbroeck, Robert Wagner und Maarten Wynants die großen Gewinner dieser Selektion. Zwischen der ersten Hauptgruppe um diese Mannschaften und dem zweiten Feld um Cancellara und Sagan klaffte bald schon ein Loch von einer Minute und auch wenn sich die Jagd noch lange fortsetzen sollte, kamen die Abgehängten nicht wieder heran.

Debütant Tony Martin – als Zugmaschine für Boonen eine Wucht
Für Etixx-Quick Step war besonders Paris-Roubaix-Debütant Martin als Tempobolzer Gold wert. Allerdings füllte er diese Rolle so stark aus, dass er die Hauptgruppe im nächsten Sektor, Haveluy, noch weiter reduzierte, so dass in seinem Schlepptau nur noch Teamkollege Boonen sowie Stannard (Sky), Wagner (LottoNL-Jumbo), Luke Durbridge (Orica-GreenEdge) und Edvald Boasson Hagen (Dimension Data) verblieben waren. Diese Entwicklung hatte dem berüchtigten Wald von Arenberg, der als Sektor 18 folgte, etwas an Bedeutung geraubt, denn auf diesem 5-Sterne-Abschnitt passierte nicht gerade viel. Die Sechsergruppe um Martin und Boonen verkleinerte den Abstand zu den Ausreißern auf knapp eineinhalb Minuten und hielt Vorsprünge von rund einer halben bzw. gut einer Minute auf die Verfolgergruppe mit den vielen weiteren Sky- und LottNL-Fahrern respektive die Gruppe um Cancellara und Sagan. In Sektor 16, Hornaing, kamen die Verfolger um Vanmarcke und Stannard wieder an das Martin-Boonen-Sextett heran und eine Weile später, nachdem vorne Hayman zwischenzeitlich ein sieben Kilometer langes Solo hingelegt hatte, schlossen sie zur Ausreißergruppe auf. Die Sky-Fahrer Rowe, Moscon, Van Poppel und Stannard, die noch relativ zurückgehalten gefahren waren, solange ihr Teamkollege Puccio mit den Ausreißern vorausgefahren war, nahm daraufhin das Zepter in die Hand und ließ die durch die Zusammenschlüsse auf fast 30 Fahrer angewachsene Spitzengruppe schnell wieder schrumpfen.

Die finale Rennphase

Stürze vorne und hinten – Sky-Fahrer und Cancellara landen unsanft
Durch Pech wurde die Sky-Armada aber geschwächt, als sich innerhalb weniger Momente zwei Stürze ereigneten. Zuerst rutschte Moscon in einer nassen Kurve weg, danach crashte Puccio und fiel ebenfalls zurück. Rowe konnte bei Moscons Sturz nicht mehr ausweichen und ging auch zu Boden, kam aber rasch wieder zurück in die Führungsgruppe mit seinem Kapitän Stannard. Das nächste Highlight war knapp 50 Kilometer vor dem Ziel der Sektor 10 mit dem Fünf-Sterne-Kopfsteinpflaster von Mons-en-Pévèle. Vorne attackierte Vanmarcke und setzte sich kurzzeitig mit Stannard ab. Am Ende des Sektors kamen Boonen, Wynants, Boasson Hagen, Aleksejs Saramotins (IAM Cycling) und die nicht kaputt zu kriegenden ehemaligen Ausreißer Hayman und Erviti wieder heran. Kurz darauf fiel Wynants zurück, dafür verstärkten Stannards Teamkollege Rowe, Saramotins’ Teamkollege Heinrich Haussler und Marcel Sieberg (Lotto Soudal) die Spitze, die damit zehn Fahrer umfasste. Immer noch mehr als eine Minute dahinter lag eine Gruppe um Sagan, der es in Mons-en-Pévèle nur haarscharf hatte vermeiden können, bei einem Sturz von Cancellara, der Niki Terpstra (Etixx-Quick Step) mit sich riss, auch auf dem Pavé zu landen. Mit der zehnköpfigen ersten Gruppe hatte sich vorerst eine stabile Rennsituation ergeben, die bis Camphin-en-Pévèle hielt. Dieser Vier-Sterne-Sektor wurde 19,5 Kilometer vor dem Ziel erreicht, direkt danach folgte der letzte Fünf-Sterne Abschnitt Le Carrefour de l'Arbre.

Quintett an der Spitze – unzählige Angriffe auf den letzten Kilometern
Im Sektor Camphin-en-Pévèle zog Stannard das Tempo an, dann setzte Hayman nochmals einen drauf. Diese weitere Selektion überstanden von den restlichen Fahrern nur Boonen, Vanmarcke und Boasson Hagen. In Le Carrefour de l'Arbre attackierte dann Vanmarcke und konnte einen Vorsprung auf Boonen, Boasson Hagen und Stannard herausfahren, die die kleine Lücke auf dem nächsten Asphaltstück aber zügig wieder schlossen. Für Hayman schien das Rennen nun gelaufen – aber falsch gedacht, auch er kam doch wieder heran. Es folgte Sektor drei, Gruson, wo Vanmarcke abermals angriff und es diesmal sogar auf zehn Sekunden Vorsprung brachte; doch erneut war dies nicht von langer Dauer und zwölf Kilometer vor dem Ziel war das Quintett wieder vereint. Vanmarcke ließ sich nicht entmutigen und attackierte in Sektor 2, Hem, acht Kilometer vor dem Ende erneut, doch eine schnelle Reaktion von Boasson Hagen verhinderte, dass er sich absetzen konnte. Und so ging es immer weiter. Attacke Stannard, Boonen und Vanmarcke holen ihn zurück. Hayman tritt an, Vanmarcke kontert geistesgegenwärtig. Boasson Hagen greift an, kann sich ebenso wenig losreißen. Vanmarcke noch einmal, Boonen setzt direkt zum Gegenschlag an, doch die Fünf bleiben weiter zusammen, auch beim nächsten Angriff von Stannard. Dann sind noch drei Kilometer zu fahren.

Sprintentscheidung im Velodrom – Hayman besiegt Boonen
2800 Meter vor dem Ziel ging Boonen, der von der reinen Papierform her sprintstärkste der fünf Sieganwärter, mit viel Schwung in die Offensive und kam ein paar Meter weg. Hayman setzte nach, kämpfte sich an den Belgier heran und ging direkt vorbei. Boonen schnaufte kurz durch und schloss dann zu ihm auf. An der Flamme Rouge hatte das Duo einen kleinen Vorsprung, doch bei der Einfahrt ins Velodrom wurden sie von Vanmarcke eingeholt und auf der ehrwürdigen Bahn brachten sich auch Stannard und Boasson Hagen zurück ins Spiel, als die Glocke für die letzte Runde geläutet wurde. Auf der Gegengeraden trat Hayman an, zog vorbei am bis dahin in erster Position fahrenden Boonen und legte einen Endspurt hin, der ihn zu einem sensationellen Sieg führte. Boonen (Sieger 2005, 2008, 2009 und 2012) wurde Zweiter und teilt sich den Rekord für die meisten Paris-Roubaix-Erfolge weiterhin mit Roger De Vlaeminck (1972, 1974, 1975 und 1977). Stannard schnappte sich vor Vanmarcke den letzten Podiumsplatz, Boasson Hagen konnte im Sprint nicht mehr mithalten und wurde Fünfter. Mit einer Minute Rückstand folgten Haussler, Sieberg, Saramotins und Erviti, mit 2:20 Minuten dann die Gruppe um Sagan, der Platz elf belegte. Cancellara beendete das letzte Paris-Roubaix seiner Karriere mit 7:35 Minuten Rückstand auf dem 40. Platz.

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